Zweites Flüchtlings-„Geisterschiff“ im Mittelmeer

Rom/Berlin (dpa) - Zum zweiten Mal innerhalb weniger Tage hat Italiens Küstenwache im Mittelmeer einen führerlosen Frachter mit Hunderten Flüchtlingen in Sicherheit gebracht. Die Einsatzkräfte gelangten per Helikopter auf den Frachter mit etwa 450 Migranten an Bord.

Zweites Flüchtlings-„Geisterschiff“ im Mittelmeer
Foto: dpa

Die unter der Flagge Sierra Leones fahrende „Ezadeen“ sollte in den Hafen der kalabrischen Stadt Corigliano Calabro geschleppt werden, wo sie in der Nacht zum Samstag erwartet wurde. Bereits am Mittwoch hatten die Behörden den Frachter „Blue Sky M“ mit knapp 800 Menschen an Bord auf hoher See gestoppt und an Land begleitet.

Das Phänomen der „Geisterschiffe“ im Mittelmeer, die ohne Besatzung und vollgepfercht mit Flüchtlingen ihrem Schicksal überlassen werden, zeigt nach Ansicht der EU-Grenzschutzagentur Frontex einen „neuen Grad der Grausamkeit“. „Das ist eine neue Erscheinung dieses Winters“, sagte Pressesprecherin Ewa Moncure in Warschau. Der Schmuggel von Flüchtlingen sei ein „Multimillionengeschäft“.

Die Bundesregierung sieht keinen direkten Zusammenhang des neuen Phänomens mit der europäischen Grenzsicherung „Triton“. „Das beschriebene Phänomen erfordert aus Sicht der Bundesregierung gegenwärtig keinen Strategiewechsel in der europäischen Asylpolitik“, sagte ein Sprecher des Bundesinnenministeriums der Deutschen Presse-Agentur.

Dass Schleuser nun statt kleiner Boote vereinzelt ältere Handelsschiffe mit besserer Seetauglichkeit einsetzten, sei wohl eher ein Versuch, ihr kriminelles Geschäft auch während des Winters zu betreiben. Die Gewinnspannen mit größeren Schiffen seien „enorm“.

Bei dem Triton-Einsatz wurden laut Innenministerium seit November 2014 etwa 13 000 Migranten aus Seenot gerettet. Zudem seien 53 Schleuser festgenommen worden.

„Das ist der dritte Fall, den wir in den vergangenen Wochen registriert haben, bei dem ein Schiff mit Hunderten Menschen an Bord seinem Schicksal überlassen wurde“, sagte Giovanni Pettorino von der Küstenwache der Nachrichtenagentur Adnkronos. Die Menschenschmuggler hätten wegen der hohen Einnahmen durch die Fahrpreise keine Skrupel, das Schiff mit Autopilot zu programmieren und zu verlassen.

Die „Ezadeen“ sollte von einem isländischen Schiff der EU-Grenzschutzmission „Triton“ abgeschleppt werden. Wegen des schlechten Wetters änderte die Küstenwache ihren ursprünglichen Plan, den Frachter nach Crotone zu bringen. Die Migranten sollten stattdessen gegen Mitternacht in Corigliano Calabro ankommen.

Entdeckt wurde das manövrierunfähige Flüchtlingsboot von einem Flugzeug, das nach Angaben der Küstenwache Kontakt zur Besatzung des Frachters aufnehmen wollte, die jedoch nicht antwortete. Gemeldet hatte sich via Funk schließlich eine Passagierin, die erklärte, dass die Besatzung das Schiff verlassen habe.

Der 1966 gebaute Frachter ist normalerweise für Viehtransporte vorgesehen und sollte den französischen Mittelmeerhafen Sète ansteuern. Nach Angaben des Schiffsinformationsdienstes MarineTraffic war der letzte bekannte Hafen, in dem der Frachter Mitte Dezember angelegt hatte, Famagusta in der nur von der Türkei anerkannten Türkischen Republik Nordzypern.

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