Ein Toter, Demos, Wut : Wie geht es weiter in Chemnitz?
Chemnitz (dpa) - Seit vor einer Woche ein Streit am Rande des Stadtfestes tödlich endete, prägen Aufmärsche und aufgeregte Diskussionen das Bild der drittgrößten sächsischen Stadt.
Journalisten aus zwölf Ländern berichteten am Donnerstag von einer Demonstration der rechtspopulistischen Bewegung „Pro Chemnitz“. Zwei Tage lang schien die Polizei die Kontrolle verloren zu haben, als Hooligans zu martialischen Aufmärschen mobilisierten. Die sächsische Landesregierung versucht verzweifelt, die Lage zu beruhigen. Aber es sind noch viele Fragen offen.
WAS IST ÜBER DEN TÖDLICHEN STREIT INZWISCHEN BEKANNT?
Die Staatsanwaltschaft schweigt zu den Hintergründen der Tat. Die Polizei hatte von einem Streit zwischen zwei Männergruppen berichtet. Es gibt Spekulationen, dass der Messerattacke entweder eine Auseinandersetzung um Zigaretten oder ein versuchter EC-Kartenraub vorausgegangen war. Anfangs kursierte auch das Gerücht, dass es kurz vor der Tat eine Sexualstraftat gegeben hatte, bei der das spätere Opfer eingeschritten sein soll. „Derzeit spricht nichts für diese Version. Und alle anderen Spekulationen kommentieren wir nicht“, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Die Behörde betonte jedoch, dass die Tatverdächtigen nicht aus Notwehr gehandelt hätten. Die tödlichen Messerstiche hatten sich am Sonntagmorgen gegen 3.00 Uhr am Rande des Chemnitzer Stadtfestes ereignet.
WAS WEISS MAN ÜBER DIE TATVERDÄCHTIGEN?
Zwei Männer hat die Polizei als mutmaßliche Täter ermittelt. Ein 22 Jahre alter Iraker und ein Syrer (23) sitzen wegen des Verdachts auf gemeinschaftlichen Totschlag in Untersuchungshaft. Ermittlungen gegen weitere Tatverdächtige gibt es nach Angaben der Staatsanwaltschaft derzeit nicht. Der Iraker, der seit Oktober 2015 in Sachsen lebt, hätte nach Ansicht des Verwaltungsgerichts Chemnitz bereits im Mai 2016 abgeschoben werden können. Eine Abschiebung nach Bulgarien wäre zulässig gewesen, teilte das Verwaltungsgericht Chemnitz am Freitag mit. Die Abschiebung sei in der Folgezeit aber nicht vollzogen worden. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge prüft derzeit, warum dies nicht geschah.
WAS IST VOM OPFER BEKANNT?
Der 35-Jährige erlitt bei der Attacke mehrere Messerstiche. Er erlag wenig später seinen schweren Verletzungen im Krankenhaus. Die Staatsanwaltschaft bestätigt lediglich, dass der 35-Jährige in Chemnitz geboren wurde und kubanische Wurzeln hat. Bei der Messerattacke waren auch zwei 33- und 38-Jährige schwer verletzt worden. Mittlerweile wurde einer der Männer aus dem Krankenhaus entlassen. Der dritte Geschädigte befinde sich noch in stationärer Behandlung, schwebt aber nicht in Lebensgefahr.
WIE AUFGEHEIZT IST DIE STIMMUNG IN CHEMNITZ?
Bei den Demonstrationen gibt es sowohl bei der rechtspopulistischen Bewegung „Pro Chemnitz“ als auch beim Bündnis „Chemnitz nazifrei“ offensichtlich gewaltbereite Teilnehmer. Bisher konnte die Polizei ein Aufeinandertreffen der beiden Gruppen aber verhindern. In Chemnitz treffen aber nicht nur Neonazis und Hooligans auf Linksradikale. An den Demonstrationen nehmen auch viele enttäuschte Bürger teil, die bei den Kundgebungen immer wieder deutlich machen, dass sie sich aufgrund geringer Rente und Löhne abgehängt, für ihre Lebensleistung nicht anerkannt und von Einwanderern bedroht fühlen. Andersdenkende werden von einigen auf der Straße lautstark niedergeschrien und beleidigt. Die Situation hat sich keinesfalls beruhigt. Die Sorge vor gewalttätigen Ausschreitung ist berechtigt.