Washington "besorgt" über Chodorkowski-Urteil

Washington/Berlin (dpa) - Das Urteil gegen den Kremlkritiker Michail Chodorkowski ist von den USA und von führenden deutschen Politikern scharf kritisiert worden. Das Weiße Haus äußerte sich am Montag „zutiefst besorgt“ über den erneuten Schuldspruch.

Der „anscheinende Missbrauch des legalen Systems für ungebührliche Ziele“ sei beunruhigend, hieß es in einer Erklärung von Pressesprecher Robert Gibbs weiter. „Die offensichtlich selektive Anwendung des Gesetzes...unterläuft Russlands Ansehen als ein Land, das der Vertiefung des Rechtsstaatsprinzips verpflichtet ist.“ Dass Russland nicht universellen Werten folge, „behindert seine eigene Modernisierung und Fähigkeit, die Verbindungen mit den USA zu vertiefen“.

Bereits zuvor hatte US-Außenministerin Hillary Clinton erklärt, der Fall Chodorkowski und andere Fälle hätten negative Folgen auf Russlands Ruf bei der Einhaltung der Menschenrechte.

Außenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte: „Die Umstände des Verfahrens sind äußerst bedenklich und ein Rückschritt auf dem Weg zur Modernisierung des Landes“. Westerwelle betonte angesichts der Sorgen vor einem Rückschritt Russlands bei der Modernisierung des Landes: „Es liegt im Interesse unserer russischen Partner, diese Sorgen ernst zu nehmen und konsequent für Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Menschenrechte einzutreten.“ Bereits bei seinem Besuch in Moskau am 1. November habe er den Chodorkowski-Prozess angesprochen und seine ernsthafte Besorgnis über das Verfahren zum Ausdruck gebracht.

Der stellvertretende Regierungssprecher Christoph Steegmans hatte zuvor zurückhaltend reagiert. Die Bundesregierung könne den Fall erst umfassend bewerten, wenn das Urteil vollständig bekannt sei, also auch Strafmaß und Urteilsbegründung.

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) sagte dem Berliner „Tagesspiegel“, der Schuldspruch habe ihre „schlimmsten Befürchtungen“ bestätigt. „Das Verfahren lässt rechtsstaatliche Standards vermissen und ist offensichtlich politisch motiviert.“ Da wichtige Zeugen zugunsten Chodorkowskis ausgesagt hätten, sei es „kaum nachzuvollziehen, wie es zu diesem Urteil kommen konnte“. Der erneute Schuldspruch sei „ein harter Rückschlag“ für Russland auf dem Weg zum Rechtsstaat, kritisierte die FDP- Politikerin.

Der Russland-Experte von Amnesty International, Peter Franck, kritisierte: „Das Urteil und das gesamte Verfahren zeigen, wie weit Russland von einem Rechtsstaat entfernt ist.“ Er verlangte eine unabhängige Überprüfung der Vorwürfe gegen Chodorkowski und dessen Ex-Geschäftspartner Platon Lebedew.

Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff (CDU) bemängelte, der Schuldspruch „bestätigt die Sorge, dass dieser Prozess nicht den rechtsstaatlichen Bedingungen entspricht, zu denen sich Russland verpflichtet hat“. Urteil und Prozessverlauf „sind ein Rückschlag für die Bemühungen um mehr Rechtssicherheit in Russland“.

Grünen-Chefin Claudia Roth sprach von einem Zeichen für eine politisch gelenkte russische Justiz. Für die Demokratisierung und Modernisierung Russlands sei es ein schwarzer Tag, sagte sie der Zeitung „Die Welt“ (Dienstag). Deutschland und die EU müssten sich konsequent für die Freilassung Chodorkowskis und der heute festgenommenen Demonstranten und Oppositionellen einsetzen.

Ein Gericht in Moskau hatte Chodorkowski, der bis 2011 eine achtjährige Strafe wegen Geldwäsche absitzt, laut Agentur Interfax wegen Unterschlagung schuldig gesprochen. Der frühere Chef des mittlerweile zerschlagenen Ölkonzerns Yukos soll gemeinsam mit einem Geschäftspartner Millionen Liter Öl unterschlagen haben. Das Strafmaß gegen den 47-jährigen Gegner von Regierungschef Wladimir Putin wird vermutlich in den nächsten Tagen verkündet.

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