Polizei: Planmäßiges Vorgehen Wäre das auch schneller gegangen? Fragen zu den Ermittlungen

Berlin (dpa) - Nach dem Terroranschlag von Berlin werden Fragen nach dem Vorgehen der Ermittler laut. Wieso wurden Dokumente von Anis Amri im Führerhaus des Lastwagens nicht schon in der Nacht des Anschlags gefunden?

Und warum geriet der Gefährder aus dem Visier der Ermittler?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) bestreitet ein allgemeines Versagen der Sicherheitsbehörden. Er kündigte aber an, den Fall bis ins Detail aufarbeiten zu wollen.

Und darum könnte es dabei gehen:

Frage: Warum wurde nicht direkt nach dem Anschlag im Lkw nach Hinweisen auf den Täter gesucht? Papiere und das Handy Amris wurden erst am Tag danach in der Fahrerkabine gefunden. Kritiker meinen, der späte Fund habe wertvolle Fahndungszeit gekostet.

Antwort: Kriminologe Prof. Thomas Feltes von der Ruhr-Universität Bochum verweist auf die außergewöhnliche Situation am Tatort. „Wir haben ein kaum vorstellbares Chaos in so einer Situation.“ Anders als in klassischen Krimi-Situationen beim Auffinden einer Leiche in einer Wohnung liefen hier aufgebrachte Menschen hektisch umher. Der Platz habe erst abgesperrt, Verletzte und Angehörige versorgt werden müssen - und die nötigen Beamten hätten auch erst gerufen werden müssen.

„Man muss sich vergegenwärtigen, dass erst mal so eine Situation nach einem Anschlag für alle Beteiligten eine sehr komplexe, eine sehr verwirrende ist“, betont Prof. Feltes. „Es ist ja nicht so, dass - wie in den besagten Krimis im Fernsehen - im Grunde eine Kommission bereitsteht, die quasi auf Knopfdruck ihr Programm abspielt.“

Frage: Warum wurde das Führerhaus zunächst versiegelt und erst durchsucht, nachdem der Lkw am Dienstag abgeschleppt worden war.

Antwort: In so einer Situation gehen die Ermittler besonders vorsichtig an die Sache heran - „um eben Spuren zu sichern und um Spuren nicht zu vernichten oder Beweismaterial quasi unbrauchbar zu machen“, erklärt Prof. Feltes. Auch Berlins Polizeipräsident Klaus Kandt sprach von einem planmäßigen Vorgehen bei der Spurensicherung. „Es gibt fachliche Qualitätsstandards, wie lange kriminaltechnische Untersuchungen dauern, die halten wir auch konsequent ein.“ Die Beweise müssen so gesichert werden, dass sie vor Gericht standhalten.

Frage: Warum wurde Amri zuletzt nicht mehr observiert? Schließlich galt er als Gefährder.

Antwort: Juristisch sei das nicht mehr möglich gewesen, erklärte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Die verdeckte Überwachung habe lediglich Hinweise geliefert, dass Amri als Kleindealer für Drogen tätig sein könnte. Es gab demnach aber keine Hinweise auf den ursprünglichen Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat. Bundesinnenminister de Maizière sagte dazu der „Bild am Sonntag“: „Es gibt bisher juristisch keine ausreichende Möglichkeit, jeden dieser Gefährder rund um die Uhr überwachen zu lassen.“

Frage: Hätte man einen Drogendealer nicht dingfest machen können, statt Ende September den Kontakt zu Amri zu verlieren? Die verdeckte Überwachung hat doch immerhin Hinweise auf solche Umtriebe ergeben, die an die zuständigen Dienststellen weitergeleitet wurden.

Antwort: Spekulieren lässt sich in diesem Zusammenhang über die schwierigen Ermittlungsumstände in der Drogenhändler-Szene des Görlitzer Parks. Er gilt als Umschlagplatz - seit längerem eine große Aufgabe für die Berliner Polizei. Immerhin war im Rahmen einer Null-Toleranz-Strategie hier gegen die Drogenhändler-Szene in den vergangenen eineinhalb Jahren gegen 2735 Verdächtige ermittelt worden. Darunter wurden 511 Täter zu Gefängnis-, Bewährungs- und Geldstrafen verurteilt, berichtete die Senatsinnenverwaltung Mitte Dezember. Es ging nicht in allen Fällen um Rauschgifthandel oder -besitz.

Frage: Warum wurde Amri trotz abgelehnten Asylantrags nicht abgeschoben?

Antwort: Abschiebungen scheitern oft an der Kooperation der Herkunftsländer. „Der Heimatstaat muss den Flüchtling wieder aufnehmen, und dafür verlangt er gültige Papiere und unter Umständen weitere Voraussetzungen“, erklärt Ulrich Becker, Direktor des Max-Planck-Instituts für Sozialrecht und Sozialpolitik. Bei Amri fehlten die Papiere. Sein Heimatland Tunesien bestritt auch zunächst, er sei Tunesier. So trafen Ersatzpapiere erst nach dem Anschlag ein.

Frage: Hätte man ihn nicht vorsorglich in Abschiebehaft nehmen können?

Antwort: Abschiebehaft dient nicht der Strafverfolgung, sondern nur zur Vorbereitung der Abschiebung. „So ist die Sicherungshaft nicht zulässig, wenn feststeht, dass eine Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann und der Ausländer das nicht zu vertreten hat“, erläutert Becker. „Und nach den EU-Vorgaben gilt sogar, dass der Ausländer unverzüglich freizulassen ist, wenn keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht.“

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