Nobelpreisträger Vom Falken zum Friedenspräsidenten: Juan Manuel Santos

Bogotá/Oslo (dpa) - Auf der großen UN-Bühne wurde er schon gefeiert. Etwas voreilig. Es gab donnernden Applaus, als Kolumbiens Präsident Santos bei der Generalversammlung im September sagte: „Der letzte und älteste bewaffnete Konflikt in der westlichen Hemisphäre ist zu einem Ende gekommen.“

Nobelpreisträger: Vom Falken zum Friedenspräsidenten: Juan Manuel Santos
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Wenige Tage später wurde der Friedensvertrag mit der Farc-Guerilla im Beisein von Staatschefs und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon unterzeichnet. Dann kam aber statt fliegenden Friedenstauben Santos' schwärzeste Stunde: der 2. Oktober.

Überraschend sagte das Volk „No“ zu dem Vertrag, der den 52 Jahren andauernden blutigen Konflikt beenden sollte. Wenn auch mit 50,2 Prozent denkbar knapp. Die niedrige Wahlbeteiligung von 37,4 Prozent zeigte auch, dass viele Kolumbianer dem Frieden noch nicht trauen.

Doch Santos großes Verdienst ist seine Zähigkeit, sein vierjähriges Ringen um juristische Details, um schmerzhafte Kompromisse. Und er will bis zum letzten Tag seiner Amtszeit für den Erfolg kämpfen. Die Nachricht, dass er dafür den Friedensnobelpreis bekommt, erreichte ihn im Schlaf - in Kolumbien war es zu der Zeit 4 Uhr morgens. Der Preis soll gerade jetzt helfen, den fragilen Prozess zu retten. Was für ein Wechselbad der Gefühle für den etwas dröge wirkenden Santos.

Der 65-Jährige hatte zuletzt alles dem Ziel unterstellt, den Konflikt in Kolumbien beizulegen. Er gehöre einer Generation an, „die nie im Frieden gelebt hat“, sagt der Staatschef. Als die marxistische Farc, die sich als Anwalt der armen Landbevölkerung sieht, den bewaffneten Kampf begann, war er gerade mal 13 Jahre alt. Kaum eine Familie, die bis heute keine Opfer zu beklagen hat, über 220 000 Tote. Santos sagt in einer Radio- und TV-Ansprache, das sei ein Preis für das Volk. Er nehme ihn an „im Namen aller Kolumbianer, vor allem im Namen der Millionen Opfer, die dieser Konflikt zurückgelassen hat.“

Bei den Präsidentenwahl 2010 präsentierte sich Santos als Erbe seines politischen Ziehvaters, Ex-Präsident Álvaro Uribe - unter Uribe war Santos Verteidigungsminister und setzte auf den militärischen Sieg über die Farc durch Bomben und Bodenoffensiven. 2008 wurde bei einem Luftangriff einer der führenden Guerilleros, Raúl Reyes, getötet, zudem gelang die Befreiung der Ex-Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt. Aber letztlich zeigte sich, der Kampf ist militärisch nicht zu gewinnen - zudem steckte die Regierung jährlich rund drei Prozent des Bruttoinlandsproduktes in den Kampf gegen die Guerilla.

Und dieses Land hat so großes Potenzial: Der Frieden könnte Millionen von Touristen ins Land bringen. Ökonomen rechnen mit bis zu drei Prozent mehr Wirtschaftswachstum pro Jahr, da auch in bisherigen Kriegsregionen produziert werden kann. Schon durch die Verhandlungen mit der Farc und den im Juni beschlossenen Waffenstillstand war der Konflikt in seine bisher ruhigste Phase getreten. Der Falke Santos wurde zum Friedenspräsidenten. Laut einer Analyse des Instituts CERAC gab es seit Mitte 2015 nur vier Tote bei Farc-Kampfhandlungen.

Als Santos 2012 die Friedensgespräche einleitete, überwarf er sich mit dem konservativen Hardliner Uribe, der zum erbitterten Gegner des Abkommens wurde - und zuletzt mit seiner „No“-Kampagne siegte. Kann Santos den Vertrag so neu verhandeln, dass der Rückhalt größer wird?

Die Forderungen des Uribe-Lagers: Farc-Führer, denen Verbrechen nachgewiesen werden, sollen nicht bei Wahlen antreten dürfen. Die Farc will eine politische Partei gründen - umstritten ist, dass den Ex-Guerilleros bis zu zehn Kongresssitze garantiert werden sollen. Und dass es auch für schwere Verbrechen nur maximal acht Jahre Haft geben soll, die zum Teil im Hausarrest abgesessen werden könnte.

Bei der Unterzeichnung des Friedensvertrags in Cartagena trat Santos Ende September in einer Guayabera auf - ein blütenweißes Hemd, die Farbe des Friedens. Es gilt in der Karibik als formelle Kleidung - auch wenn es luftig ist und ohne Krawatte getragen wird. Dem etwas steifen Santos aus dem kolumbianischen Hochland war die lässige Guayabera immer etwas suspekt. Aus Diplomatenkreisen ist zu hören, dass die Protokollarabteilung den Präsidenten förmlich dazu zwingen musste, seinen Anzug gegen das weiße Hemd zu tauschen.

Santos ist weltgewandt, wandelbar, ein Mann, der für sein Land die Vision des Friedens und der Versöhnung nach Jahrzehnten eines grausamen Konflikts habe, wie Kanzlerin Angela Merkel (CDU) betont.

Er studierte Betriebswirtschaftslehre an der Universität von Kansas in den USA und öffentliche Verwaltung in Harvard. Später stieg er in das Verlagsgeschäft seiner Familie ein, die lange die größte kolumbianische Tageszeitung „El Tiempo“ kontrollierte. Er stammt aus einer der einflussreichsten Familien des Landes. Sein Großonkel Eduardo Santos war von 1938 bis 1942 Präsident Kolumbiens, sein Cousin Francisco Santos war Vizepräsident unter Álvaro Uribe. Aber auch sein eigener Cousin ist ein Gegner des Vertrages mit der Farc.

Gemeinsam mit Farc-Chef Rodrigo „Timochenko“ Londoño warf Santos sein Gewicht in die Waagschale, um in dem südamerikanischen Land endlich Frieden zu schließen. Nach der Farc will er auch die weitaus kleinere ELN dafür gewinnen.

Dass nur Santos den Nobelpreis bekommt, ist fast folgerichtig. Der Guerillakommandeur Londoño, der Medizin studierte, wurde wegen Mordes, Entführung und Rebellion in Abwesenheit zu fast 200 Jahren Haft verurteilt. „Timochenko“ verhandelte in Kuba mit den Unterhändlern der Regierung den Frieden - und setzt auf die Aussetzung seiner hohen Strafe.

Nun müssen sie gemeinsam sehen, ob sie einen neuen Vertrag aushandeln können. Der Waffenstillstand gilt vorerst weiter, aber nur bis Ende Oktober. Santos ist noch der Unvollendete, trotz des nächtlichen Anrufs aus Oslo.

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