Analyse „Volk gegen alte Kaste“: Populisten schon im Wahlkampfmodus

Rom (dpa) - Es ist schon absurd: Die Italiener bekommen nach einer monatelangen politischen Achterbahnfahrt genau das, was ihnen so verhasst ist. Einen „Sparkommissar“ an der Spitze einer Übergangsregierung, einen Europafreund und Ex-Direktor des Internationalen Währungsfonds.

Analyse: „Volk gegen alte Kaste“: Populisten schon im Wahlkampfmodus
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Einen Vertreter der „Finanzlobby“, die das Land in die Knie gezwungen hat - so zumindest stellen es die Fünf-Sterne-Bewegung und die rechtspopulistische Lega dar, deren Anti-EU-Koalition auf den letzten Metern mit einem großen Knall geplatzt ist.

Der parteilose Finanzexperte Carlo Cottarelli ist die Karte, die Staatspräsident Sergio Mattarella spielt, um die nervösen Finanzmärkte zu beruhigen. Das Ziel des designierten Regierungschefs soll sein: Das Haushaltsgesetz durchbringen, Europa beruhigen und dann zur Neuwahl schreiten.

Falls er das Vertrauen im Parlament nicht bekommt, was wahrscheinlich ist, dann würde er das Land bis zu einer Neuwahl „nach August“ führen, sagte Cottarelli. „Eine Regierung unter meiner Führung garantiert einen wohlbedachten Umgang mit unseren öffentlichen Konten“, fügte er hinzu.

Hatten doch die Sterne und die Lega einen Regierungsvertrag unterzeichnet, der genau das Gegenteil versprach: Mehrausgaben und mehr Schulden. Seit Wochen verursachte das Unruhe in Brüssel, Berlin und an den Finanzmärkten, was für einen hochverschuldeten Staat wie Italien ein Riesenproblem ist.

Cottarelli mag zwar eine Person sein, die an sich EU-Funktionären und den Märkten gefällt. Den Geist des Populismus in Italien wird er aber kaum zurück in die Flasche bekommen. „Aus heutiger Sicht ist der Amtsantritt einer italienischen Regierung, die auf Konfrontationskurs zur EU geht und deren Regeln missachtet, nur aufgeschoben“, kommentierte Commerzbank-Chefvolkswirt Ralph Solveen.

Es besteht die Gefahr, dass eine Technokraten-Regierung nur mehr Wasser auf die Mühlen der Anti-Establishment-Parteien leitet und deren Rhetorik verschärft. „Es ist nur der letzte Schlag der starken Mächte, die ein versklavtes, verängstigtes und armes Italien wollen“, tönte Lega-Chef Matteo Salvini. „Die nächsten Wahlen werden eine Volksabstimmung sein: Volk und echtes Leben gegen die alte Kaste.“

Salvinis Argumentation findet durchaus Anklang in einem Land, in dem Polit-Frust herrscht: Wieder werde den Italienern eine Regierung von oben aufgedrückt, wieder sei das Volk nicht gehört worden, wieder haben die Finanzmärkte die Kontrolle, wieder wollten Deutschen aus eigenem Interesse eine kritische Regierung verhindern.

Ähnliche Argumente brachte Sterne-Chef Luigi Di Maio an. Nur: Dass weder die EU noch Kanzlerin Angela Merkel Schuld an den Schlaglöchern auf Italiens Straßen sind, dass weder Brüssel oder Berlin hinter einer nicht-funktionierenden Müllabfuhr oder hinter ineffektiven Behörden stecken: Egal.

Salvini scheint der wahre Gewinner dieses Spektakels. In Umfragen legte seine Partei, die er von einer Abspaltungspartei des reichen Nordens zu einer antieuropäischen und fremdenfeindlichen nationalen Bewegung gemacht hat, weiter zu. Sein Kalkül ist es, bei der nächsten Wahl - womöglich im Herbst - eine Triumph auf der ganzen Linie einzufahren und dann direkt Ministerpräsident zu werden.

An dem Argument der Sterne und der Lega, Präsident Mattarella habe die „Regierung des Wandels“ platzen lassen, sind Zweifel angebracht. Mattarella hatte etwas gegen den Euro- und Deutschlandkritiker Paolo Savona als Finanzminister in einer Populisten-Regierung, weil die Unsicherheit an den Märkten letztlich auch die italienischen Sparer gefährde.

Wenn der Wille da gewesen wäre, hätten Lega und Sterne wohl durchaus einen anderen Kandidaten als Savona finden können. Aber sie beharrten darauf. Nicht wenige vermuten, dass Salvini nur auf einen Anlass gewartet hat, die Koalition der ungleichen Partner in die Luft fliegen zu lassen, bevor sie im Amt gescheitert wäre.

Zusätzlichen Radau verursacht nun die Drohung der Sterne, eine Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatschef einzuleiten. „Mattarella ist die Figur, der in Italien das meiste Vertrauen entgegengebracht wird“, sagte Wolfango Piccoli von der Denkfabrik Teneo. „Der Ruf nach einer Amtsenthebung macht Lärm und könnte im Wahlkampf benutzt werden. Es ist aber unwahrscheinlich, dass dies vor der Wahl eingeleitet wird.“ Das Verfahren ist zudem höchstkompliziert und wurde in Italien noch nie angewendet.

Die entscheidende Frage wird jetzt sein: Ob die Lega wieder mit ihrem langjährigen Verbündeten, Ex-Ministerpräsident Silvio Berlusconi, in einer Mitte-Rechts-Allianz zur Wahl marschiert oder gleich gemeinsam mit den Sternen antritt. Die Sterne hatten 32 Prozent bei der letzten Wahl bekommen, die Lega 17. Aber würden das die Sterne-Wähler - zu denen auch solche aus dem linken Spektrum gehören - akzeptieren?

Die Sterne und ihr Chef Di Maio werden genau abwägen müssen, ob sie sich weiter von Salvini vor den Karren spannen lassen wollen und ob sie dabei als Verlierer hervorgehen könnten. „Matteo gewinnt, Luigi weint“, fasste die Zeitung „La Stampa“ die Performance der beiden Parteichefs zusammen.

Eines ist ausgemacht in der vertrackten Lage: Die Unsicherheit in Italien bleibt. Einzige Hoffnung auf eine Atempause nach all dem Theater: „Der Sommer steht vor der Tür“, sagte Politikexperte Piccoli. Wenn das halbe Land am Strand liegt, könnte sogar der populistische Geist etwas erlahmen - zumindest vorübergehend.

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