Schwedisches Sexualstrafrecht im Fokus

Stockholm (dpa) - Für viele ist es eine CIA-Verschwörung gegen die unliebsamen Wikileaks-Enthüllungen, und Julian Assange ist das Opfer.

In Stockholm selbst sehen manche die Festnahme des Internet-Aktivisten drei Monate nach dem Vergewaltigungs-Vorwurf einer Schwedin als logische Folge eines Sexualstrafrechts, das Sex bei einem klaren „Nein“ des Partners besonders konsequent ahndet.

Claes Borgström, Anwalt der beiden Frauen, die Mitte August bei der Polizei gegen Assange ausgesagt hatten, ging am Mittwoch in die Offensive, nachdem der 39-jährige Australier am Vortag in London auf Geheiß der schwedischen Justiz hinter Gitter gekommen war. Zur Erklärung von Assange, die beiden Schwedinnen hätten absolut einvernehmlich mit ihm Sex gehabt und seien nun ferngesteuert, meinte Borgström: „Er lügt, wenn er behauptet, dass meine Klientinnen Teil einer von den USA gelenkten Verschwörung gegen ihn und Wikileaks sind. Er weiß das ganz genau.“

Die Frauen seien zur Polizei gegangen, um sich „beraten zu lassen“, sagte Borgström in der Zeitung „Aftonbladet“ weiter. Sie hätten einfach berichtet, was vorgefallen sei. „Als die zuständige Polizistin sah, um was es ging, hat sie das an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Und dann begannen die Ermittlungen.“ Die jetzt als dritte Staatsanwältin seit August zuständige Marianne Ny wertete einen von fünf Vorwürfen als Verdacht auf Vergewaltigung.

Auf Vergewaltigung stehen in Schweden bis zu sechs Jahre Haft, bei „weniger groben“ Fällen bis zu vier Jahre. Schwedens Polizei und Staatsanwaltschaft bewegen sich in einem seit mehr als zehn Jahren immer mehr von erklärten Feministen dominierten Umfeld: „Feminist“ nennt sich in Schweden auch so gut wie jeder männlicher Politiker. Dass hier 1999 erstmals in der Welt jeder Kauf sexueller Dienste unter Strafe gestellt wurde, ist zum international stark beachteten Symbol geworden.

„Das sind zwei ganz normale schwedische Mädchen, die Assange für seine Arbeit bewundert haben“, sagte Borgström. Vergewaltigung könne etwas anderes sein, als dass ein Mann hinter dem Busch hervorspringe und sich grob gewalttätig an einer Unbekannten vergehe. Und weiter: „Es gibt andere Methoden, jemanden zu Sex gegen den eigenen Willen zu zwingen. Das können zigtausende Frauen bezeugen.“

Details nennt Borgström nicht, bestätigte aber am Mittwoch zum ersten Mal indirekt, dass die Vorwürfe um Sex ohne Kondom gegen den Willen der Frauen kreisen: Sie hätten bei der Polizei auch erfragen wollen, wie sie sich mit Blick auf ein etwaiges HIV-Risiko verhalten sollten.

Der Anwalt steht mit seinem Werdegang für die schwedische „Feminismus-Variante“. 2000 bis 2007 amtierte Borgström als Schwedens „Gleichberechtigungs-Ombudsmann“ und verlangte den Boykott der Fußball-WM in Deutschland: Dort sei mit fast 50 000 Zwangsprostituierten zu rechnen. Schweden dürfe solche Formen von Sklavenhandel nicht unterstützen. Die neue Frauenpartei „Feministische Initiative“ unterstützte er mit der Forderung nach Anerkennung einer „kollektiven Männerschuld“ für Gewalt an Frauen.

Borgström ist mit diesen Positionen kein Außenseiter geworden. In Stockholm betreibt er sein Anwaltsbüro zusammen mit dem sozialdemokratischen Ex-Justizminister Thomas Bodström und berät dessen Partei als Gleichberechtigungsexperte.

In Stockholm sind die meisten Beobachter überzeugt, dass Oberstaatsanwältin Marianne Ny mit ihrem Bestehen auf die Assange-Festnahme in London eher an möglichen Ärger mit Claes Borgström als an den Druck aus Washington dachte. Wenngleich der immer härtere Kampf um die Wikileaks-Enthüllungen nach Überzeugung von „Dagens Nyheter“ irgendwann wohl doch den Gang des Stockholmer Verfahrens beeinflussen könnte: „Es gibt schon das Risiko, dass die Festnahme von Julian Assange zu einem großen politischen Problem wird.“

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