Analyse Riss in türkischer Gemeinde: Wie hältst du es mit Erdogan?

Köln (dpa) - Deutsch-Türke Ali ist entschiedener Erdogan-Gegner und sagt das auch offen und klar. „Ich selbst habe da überhaupt keine Befürchtungen. Aber es gibt eine Menge Leute in meinem Umfeld, die sind viel vorsichtiger und würden sich nie trauen, etwas gegen Erdogan zu sagen“, erzählt der 40-Jährige aus Köln.

Analyse: Riss in türkischer Gemeinde: Wie hältst du es mit Erdogan?
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Die türkische Community sei in ein Pro- und ein Contra-Erdogan-Lager gespalten. „Ständig werde ich gefragt, wie ich zu Erdogan stehe“, bestätigt Suna K., Bürokauffrau in einem türkischen Lohnsteuerhilfeverein. Dauernd müsse man erklären, was man vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan und seiner geplanten Verfassungsreform halte.

„Bei manchen entstehen da schon Trotzreaktionen. Obwohl sie vorher keine Sympathien für Erdogan hatten, verteidigen sie ihn plötzlich“, schildert die türkischstämmige Bürokauffrau. In Köln und Berlin leben besonders viele der rund drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Und auch hier kommt der politische Konflikt mit voller Wucht an.

Die frühere SPD-Integrationspolitikerin Lale Agkün ist besorgt über eine sich ausbreitende Angst innerhalb der türkischen Gemeinden. Sie selbst erhält täglich Drohmails. „Mir kann man in Deutschland bloß die Reifen aufschlitzen, mich anspucken oder meine Mailbox mit Beleidigungen zumüllen.“ Große Sorge bereitet ihr dagegen das Schicksal von Oppositionellen, von Gegnern Erdogans und der islamisch-konservative AKP in der Türkei.

„Viele werden nicht wagen, gegen Erdogans Verfassungsänderung zu stimmen, weil sie nicht mit Terroristen und PKK-Anhängern in eine Schublade gesteckt werden wollen und weil sie Verwandte in der Türkei haben, um die sie fürchten“, glaubt Akgün. Die türkisch-islamische Union Ditib - wegen der Spitzelaffäre einiger Imame derzeit unter Druck - mache für Erdogan mobil. Erdogan und die AKP konnten in Deutschland bisher mit hohem Zuspruch rechnen. Bei den türkischen Parlamentswahlen Ende 2015 holte die AKP in der Türkei 49,5 Prozent, bei den türkeistämmigen Wählern hierzulande fast 60 Prozent - bei einer Wahlbeteiligung von rund 41 Prozent.

In Deutschland können gut 1,4 Millionen Türken in drei Wochen - vom 27. März bis 9. April - über die umstrittene Verfassungsänderung in der Türkei abstimmen, die Erdogan viel mehr Macht geben würde. Dietmar Molthagen, Wissenschaftler der Friedrich-Ebert-Stiftung, meint, alles werde überlagert von der Frage: „Wie hältst du es mit Erdogan?“ Und: „Die Polarisierung in der türkischen Community belastet sogar Familien und persönliche Beziehungen.“ Diese Spaltung sei nicht zu überwinden, solange der Konflikt in der Türkei bleibe.

„In der türkischen Community gab es immer schon Spannungen. Aber nie zuvor waren sie von der türkischen Regierung organisiert“, betont Gökay Sofuoglu, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde. „Das hat eine neue Qualität, es hat große Auswirkungen und macht vielen Angst.“ Auch für das Verhältnis zwischen Türken und Deutschen hierzulande sei das kontraproduktiv. „Das tut der Stimmung nicht gut. Ich muss mich auf einmal in meiner deutschen Nachbarschaft oder in der Stadtbahn rechtfertigen für eine türkische Politik, die ich noch dazu ablehne.“

Ganz anders bewertet die UETD, Auslandsorganisation der AKP, die Lage. „Andersdenkende, die beim Referendum mit Ja stimmen wollen, werden in Deutschland von der deutschen Politik und den Medien zum Großteil denunziert und mundtot gemacht“, beklagt Bülent Bilgi, Geschäftsführer der Union Europäisch-Türkischer Demokraten. Er fordert: „Auch Politiker aus der Türkei müssen sich hier erklären können. Es muss ihnen erlaubt sein, zu informieren und sich auch kritischen Fragen zu stellen.“

Der Vorsitzende des deutsch-türkischen Integrationsvereins Eurotürk in Aachen, Reiner Bertrand, bedauert: „Wir bemerken leider, dass bei jedem Treffen taxiert wird, ob jemand Erdogan-freundlich oder nicht Erdogan-freundlich ist.“ Und: „Bestimmte Themen müssen wir ausklammern - je nachdem, wer mit am Tisch sitzt. Es ist eine absolute Gratwanderung.“

Auch andere deutsch-türkische Vereine seien mit vergleichbaren Entwicklungen belastet. Die Spannungen reichen bis in türkische Familien hinein. Eurotürk habe, um die Vereinsarbeit fortsetzen zu können, zum Prinzip erhoben: „Unsere Freundschaft steht. Trotz aller Meinungsverschiedenheiten. Es bleibt beim Respekt. Anfeindungen und persönliche Angriffe sind tabu.“

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