Report: Viele Ägypter unzufrieden mit Mubarak-Urteil

Kairo (dpa) - Geschrei und Ohrfeigen sind in ägyptischen Gerichtssälen keine Seltenheit. Die Angeklagten sperrt man deshalb sicherheitshalber immer in einen Käfig.

Der Vorsitzende Richter im Jahrhundert-Prozess gegen Ex-Präsident Husni Mubarak drohte vor seiner Urteilsverkündung sogar damit, den Prozess zu vertagen, falls ihn jemand durch „Geräusche oder Bewegungen“ stören sollte. So herrschte Totenstille, als Ahmed Refaat sein Urteil verlas. Erst als der Richter fertiggesprochen war, brach Tumult aus. „Das Volk will die Säuberung der Justiz“, rief ein Sprechchor von Anwälten.

Auf der Straße vor der Polizeiakademie, die für den Prozess zum Gerichtssaal umgebaut worden war, stürzten Mütter von getöteten Demonstranten weinend zu Boden. Mubarak-Anhänger warfen mit Steinen nach der Polizei.

Die Gründe für die Wut, die sich in mehreren ägyptischen Städten Bahn brach, während Mubarak per Helikopter in ein Gefängniskrankenhaus geflogen wurde, sind vielfältig. Doch neben dem Ärger der „Revolutionäre“ und Angehörigen von Opfern, die darauf gehofft hatten, Mubarak am Galgen zu sehen, ist es vor allem der Freispruch für die sechs Assistenten des ehemaligen Innenministers Habib al-Adli, der die Menschen am Nil erzürnt. Denn ihnen erscheint es, als sei nun das ganze alte Unrechtssystem mit seinen korrupten Polizeioffizieren und folternden Ermittlern freigesprochen worden.

„Das ist ein Freibrief für die Polizei und den Geheimdienst, dass sie die Menschenrechte weiter mit Füßen treten dürfen“, empört sich ein Aktivist. Denn der Tropfen, der das Fass damals in Ägypten zum Überlaufen gebracht hatte, war nicht nur die Revolution in Tunesien. Ein weiterer Grund war der schockierende Fall von Chalid Said aus Alexandria, der von korrupten Polizisten zu Tode geprügelt worden war, weil er ihre kriminellen Machenschaften aufgedeckt hatte.

„Das ist ein schlechtes Theaterstück, die kriminelle Bande von einst ist immer noch an der Macht“, rufen Demonstranten auf dem Tahrir-Platz, in Kairo - dort, wo im vergangenen Januar alles begann. Dass dieses Urteil jetzt eine „zweite Revolution“ auslösen könnte, so wie einige Beobachter zuvor gemutmaßt hatten, ist jedoch wenig wahrscheinlich.

Welche Auswirkungen der Urteilsspruch auf die laufende Präsidentenwahl haben wird, ist dagegen schwer zu sagen. Generell wird jedoch vermutet, dass er dem islamistischen Kandidaten Mohammed Mursi, nutzen könnte. Der tritt am 16. und 17. Juni in einer Stichwahl gegen Ahmed Schafik an, einen ehemaligen Minister aus der Mubarak-Zeit.

Denn die Chance ist groß, dass das Urteil vom Kassationsgericht wegen Verfahrensmängeln aufgehoben wird. Dann müsste das Verfahren von einem anderen Gericht noch einmal komplett neu aufgerollt werden. Dies würde einige Monate dauern.

Nach dem endgültigen Urteil stünde dann dem neuen Präsidenten das Recht zu, die Verurteilten zu begnadigen. Das nutzen die Unterstützer von Mursi jetzt als Teil ihrer Wahlpropaganda aus. Sie behaupten, es wäre denkbar, dass sich Schafik zu so einem Gnadenakt durchringen könnte. Bei Mursi, der zu der von Mubarak einst drangsalierten Muslimbruderschaft gehört, wäre dies dagegen ausgeschlossen. Die Unterstützer von Schafik verwehrten sich prompt gegen derartige Spekulationen.

Nach dem ersten Urteilsspruch gegen Mubarak, der nach dem Arabischen Frühling als erstes Staatsoberhaupt vor Gericht gestellt wurde, sind die Ägypter letztlich so schlau wie zuvor. Das Schicksal ihres Ex-Präsidenten bleibt bis zu einem Urteil in zweiter Instanz unklar. Bei der Wahl seines Nachfolgers wird ein Kopf-an-Kopf-Rennen erwartet. Der Verfassungsprozess ist ins Stocken geraten. Nur ein Datum steht - angeblich - fest: Die Machtübergabe des Obersten Militärrates an gewählte zivile Volksvertreter am 30. Juni.

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