„Ball im Feld von Puigdemont“ : Rajoy treibt katalanische Separatisten in die Enge
Madrid/Barcelona (dpa) - Der katalanische Regionalregierungschef Carles Puigdemont wollte die Quadratur des Kreises, wollte es allen recht machen.
Die Unabhängigkeit erklären, und damit die Bewegung der glühenden Separatisten zufriedenstellen. Und die Unabhängigkeit nur Sekunden später wieder aussetzen, um eine harte Reaktion der Zentralregierung in Madrid zu vermeiden und Zeit für Gespräche zu gewinnen. Diese Rechnung ist nicht aufgegangen. Spaniens Regierungschef Mariano Rajoy setzte Puigdemont zwei Ultimaten, die dieser kaum erfüllen dürfte. Sein erneuter Aufruf, einen Vermittler einzuschalten, um eine Unabhängigkeit auszuhandeln, verhallte.
Rajoy forderte den Separatistenführer auf, bis spätestens Montag zu „bestätigen, ob er die Unabhängigkeit erklärt hat oder nicht“. Zugleich verlangte Rajoy, dass die katalanische Regierung bis Donnerstag kommender Woche endlich die verfassungsmäßige Ordnung respektiert. Sollte dieser höchst unwahrscheinliche Kotau der Separatisten ausbleiben, wäre der Weg zur Entmachtung der Regionalregierung und die Übernahme der Verwaltung Kataloniens durch Madrid gemäß Artikel 155 der spanischen Verfassung eröffnet. Ein höchst riskanter Schritt, den Rajoy schon lange hätte tun können, aber wegen befürchteter Unruhen und gewaltsamer Zusammenstöße bisher vermieden hat.
Wegen seines mangelnden Charismas von seinen Gegnern oft unterschätzt, erweist sich Rajoy nach den vielen in den vergangenen Jahren überstandenen Krisen und Korruptionsaffären einmal mehr als cleverer Krisenmanager. „Intelligent, Rajoy. Er fragt Puigdemont, was sich die ganze Welt fragt: Was ist gestern im Regionalparlament passiert?“, lobte der angesehene Schriftsteller und Journalist Joaquín Estefanía auf Twitter. Im TV-Sender „24 Horas“ stellte ein Kommentator fest: „Der Ball ist wieder im Feld von Puigdemont“.
Rajoys Volkspartei (PP) hat im Senat - anders als im Unterhaus - eine Mehrheit der Sitze. Zudem kündigte die oppositionelle PSOE an, Rajoy zu unterstützten. Das dort nötige grüne Licht wäre also kein Problem. In den Cafés und auf den Straßen Madrids braucht man gar nicht erst zu fragen. Der pensionierte Anwalt Paco (70) spricht das aus, was viele wollen und hoffen: „Dieser Puigdemont soll für die nächsten 100 Jahre hinter Gitter gesteckt werden und dort auch verrecken.“
Doch was ermöglicht der Artikel 155, der in Spanien nie zuvor angewendet wurde? Nicht alles, aber vieles. Sehr vieles. Bis hin zur Auflösung des Regionalparlaments, der Absetzung von Politikern in Spitzenrängen und der Übernahme der Kontrolle der Finanzen und der regionalen Sicherheitsbehörden. Allerdings nur für eine befristete Zeit, bis die „verfassungsmäßige Normalität“ wiederhergestellt ist. Das Autonomiestatut darf unterdessen vorläufig eingeschränkt, aber nicht außer Kraft gesetzt werden.