Putin trotzt deutscher Kritik: Razzien gehen weiter

Moskau (dpa) - Als ganz normale Kontrolle tut Kremlchef Wladimir Putin die von Deutschland kritisierten Razzien gegen Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen (NGO) in Russland ab.

Doch die Betroffenen fühlen sich weiter gegängelt von dieser Jagd auf „ausländische Agenten“: Es gehe Putin darum, Andersdenkende einzuschüchtern. Die Organisationen werfen dem Kreml vor, eine freie und demokratische Zivilgesellschaft mit selbstbewussten Bürgern verhindern zu wollen. Die Nachrichtenagentur dpa beantwortet die wichtigsten Fragen:

Weshalb gibt es diese so noch nie dagewesenen Razzien gegen die NGO?

Kommentatoren sehen dies als Teil der „Operation Machterhalt“.
Umfragen weisen auf eine sinkende Zustimmung für Putin hin, der mit Sorge etwa auf die revolutionären Prozesse in der arabischen Welt schaut. Nach den ersten Massenprotesten gegen Putin fing der Kreml im vorigen Jahr an, die politischen Daumenschrauben anzuziehen. Dazu gehört nicht nur das umstrittene Gesetz über „ausländische Agenten“, sondern ein härteres Vorgehen gegen Kremlkritiker insgesamt.

Putin betont, Russland wolle bei den NGO-Razzien nur erfahren, wer vom Ausland Geld für politische Arbeit bekomme. Warum die Aufregung?

Die Organisationen mussten auch bisher Finanzberichte vorlegen. Neu ist aber die Pflicht, sich als „ausländischer Agent“ registrieren zu lassen. Sogar der russische Justizminister Alexander Konowalow kritisierte dies. Der Begriff „Agent“ ist seit Sowjetzeiten negativ belegt. Kremltreue Kräfte machen bereits Jagd auf „Feinde des russischen Volkes“, auf westliche Spione, „die das Land zerstören wollen“. Es gibt Schmierereien an den Sitzen von NGO und Proteste unter dem Motto „Russland ist kein Platz für Agenten“.

Putin erklärt, dass das NGO-Gesetz selbst nichts verbiete, sondern nur Regeln aufstelle. Welche Folgen sind zu erwarten?

Wer den „Agenten-Status“ ablehnt, dem drohen Geldstrafen, eine Schließung der NGO oder sogar Haft. Renommierte Organisationen wie die Moskauer Helsinki Gruppe oder Memorial, die auch Verbrechen unter Sowjetdiktator Josef Stalin aufarbeiten, protestieren gegen das Gesetz. Sie befürchten, dass Bedürftige auf Hilfe verzichten könnten, aus Angst auch als Spione abgestempelt zu werden. Außerdem hat der Ex-Geheimdienstchef Putin das Gesetz gegen Hochverrat verschärfen lassen. Damit sind Anklagen wegen Spionage einfacher geworden.

Was hat es mit dem Vorwurf auf sich, die vom Ausland bezahlten NGO hätten es in Wahrheit auf einen Machtwechsel in Russland abgesehen?

Viele der jetzt durchsuchten NGO wenden sich gegen Korruption, Umweltsünden, Polizei- und Justizwillkür sowie Wahlfälschung. Aus ihrer Kritik am Kreml machen sie keinen Hehl. Russen, die sich von den NGO etwa Rechtsbeistand erhoffen, sehen diese aber nicht als Oppositionsparteien, die Putins politisches Ende wollen. Für sie gehören diese Organisationen zu einer Gesellschaft, die nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch im Aufbau ist. Besonders bei den deutschen politischen Stiftungen erwarten viele Russen Orientierung und Meinungsaustausch bei kontroversen Themen. Das gilt als Kontrastprogramm zum Staatsfernsehen, das Putins Politik rühmt.

Werden die Razzien gegen die NGO die Entwicklung der Zivilgesellschaft beenden können?

Der frühere Finanzminister Alexej Kudrin etwa erwartet, dass die Arbeit sehr viel schwieriger wird. Den NGO ist klarer denn je, dass sie unter Beobachtung stehen. Nicht zuletzt macht der Kreml damit aber auch deutlich, dass sich die selbstbewusste Rohstoffmacht aus eigener Kraft ohne Einmischung von außen entwickeln wolle. Deshalb etwa musste zuletzt das US-Hilfsprogramm USAID aus Russland abziehen. Putin kündigte jetzt Millionensummen für die NGO an. Experten erwarten aber, dass das Geld nur kremlnahen Projekten zugutekommt.

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