Porträt: Durchatmen für Cameron

London (dpa) - In den Tagen vor dem Schottland-Referendum wurde David Cameron (47) richtig emotional. „Nervös“ sei er, bekannte der Regierungschef.

Porträt: Durchatmen für Cameron
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Sein Herz würde brechen, sollte sich Schottland für unabhängig erklären. Wohl selten zuvor hat ein britischer Premierminister so viel Schwäche eingeräumt, so viel Gefühle preisgegeben, wie Cameron vor dem Votum der Schotten über die Zukunft ihres Landes. Das Referendum war für Großbritannien eine Existenzfrage. Und für den Politiker David Cameron war sie das auch - viele mutmaßten, er könnte bald wieder mehr Zeit für Ehefrau Samantha und die drei Kinder haben.

Schon vor der Entscheidung im nördlichen Landesteil hatten Hinterbänkler aus Camerons Tory-Partei mehr oder weniger offen den Rücktritt des Regierungschefs gefordert, sollten sich die Schotten loslösen. Cameron widerstand dem. „Über meine Zukunft entscheiden die Wähler bei der bevorstehenden Parlamentswahl“, hatte er allen Rücktrittsspekulationen entgegengeworfen. Nach dem Referendum steht der Konservative nun auf der Siegerseite.

Aber er ist ein Gewinner, der weiß, dass er für seinen Sieg nicht viel kann. Der Absolvent des als hochnäsig verschrienen Elite-Internats Eton machte im tief sozialdemokratisch geprägten Schottland praktisch keinen Wahlkampf. Es war die Angst, mit seinen Auftritten mehr kaputt zu machen als zu erreichen. Seit Margaret Thatcher in den 1980er Jahren die schottischen Industriestrukturen zerstört hatte, darf sich in einigen Gegenden kein Konservativer aus Westminster mehr blicken lassen - ein Börsianer-Sohn aus bestem Hause wie Cameron schon gar nicht. So musste er die schottischen Labour-Leute Alistair Darling und Gordon Brown vorschicken.

Cameron hatte sich im Vorfeld des Referendums vom schlitzohrigen SNP-Ministerpräsidenten Alex Salmond ausspielen lassen. Fast alle wichtigen Rahmenbedingungen - die Fragestellung, den Termin, das Wahlalter - bestimmten die Befürworter der Unabhängigkeit. Als am Freitag für ihn alles gut gegangen war, versuchte der Engländer zumindest öffentlich positiv dazustehen. „Wir hätten versuchen können, es zu verhindern“, sagte er am Freitag in der Downing Street. „Aber es wäre nicht richtig gewesen, sich wegzuducken.“

Der „Guardian“ fasste Camerons wankelmütige Schottland-Taktik pointiert zusammen. „Erst hat er zu lange zu wenig getan, dann bekam er Panik und hat zu spät zu viel getan.“ Camerons kurz vor Wahlkampfende hektisch gemachte Versprechen an die Schotten könnten sich jetzt zu einer Verfassungskrise manifestieren. Denn auch andere Landesteile, vor allem das große England selbst, wollen ihren Teil an Autonomie abhaben.

Schottland und seine Folgen sind für Cameron nur eines von vielen Problemen. Der Premier ist innerparteilich schon seit Amtsantritt angeschlagen. Bei vielen erzkonservativen Tories gilt er als Verlierer, weil er 2010 keine absolute Mehrheit geholt hat und in eine Koalition mit den Liberaldemokraten musste. Von der rechtspopulistischen UKIP lässt sich Cameron seit Monaten in der Europapolitik vorführen. Noch immer nicht vergessen ist die peinliche Abstimmungspleite gegen Teile der eigenen Fraktion, als es vor einem Jahr über Militäreinsätze in Syrien zu entscheiden galt.

Cameron hat all diese Nadelstiche bisher weggesteckt - in der Hoffnung auf ein gutes Wahlergebnis im nächsten Mai und der Gewissheit, gegen einen blassen Labour-Oppositionsführer Ed Miliband anzutreten. Doch in der eigenen Partei werden bereits die Messer gewetzt. Mit dem exzentrischen Londoner Bürgermeister Boris Johnson, Finanzminister George Osborne und Innenministerin Theresa May stehen mögliche Nachfolger schon in den Startlöchern.

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