Özdemir: Pegida ist nicht Deutschland

Berlin (dpa) - Grünen-Chef Cem Özdemir lehnt einen Dialog mit den Demonstranten der antiislamischen Pegida-Bewegung ab. Es gebe klare rote Linien. Im Interview wehrt er sich außerdem gegen Versuche der Union, die Grünen für einen Lagerwahlkampf zu vereinnahmen.

Özdemir: Pegida ist nicht Deutschland
Foto: dpa

Frage: Herr Özdemir, Sie haben ein Foto ihrer türkischen Eltern vor einem Weihnachtsbaum Ende der 1960er in Baden-Württemberg ins Internet gestellt - und für diese Form von Protest gegen Pegida viel Zuspruch erhalten. An diesem Montag werden voraussichtlich aber wieder Tausende Anhänger der islamfeindlichen Bewegung durch Dresden ziehen. Was hat Ihre Aktion gebracht?

Antwort: Die Reaktionen zeigen, dass es offensichtlich eine Sehnsucht gibt, sich von Pegida nicht die Agenda bestimmen zu lassen. Und dass man die Kirche im Dorf lassen sollte. Es sollte nicht so getan werden, als sei Pegida Deutschland. Sie bringen in Dresden eine Menge Leute auf die Straße. Aber außerhalb von Dresden hat es bislang nicht funktioniert. Es gibt insgesamt deutlich mehr Gegendemonstranten.

Frage: Manche Politiker mahnen einen Dialog an. Ist das die Lösung?

Antwort: Natürlich müssen Probleme gelöst und Menschen gehört werden. Dafür ist die Politik da. Dazu gehört, die Akzeptanz von Flüchtlingen zu erhöhen, so wie es (Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident) Winfried Kretschmann mit dem Ende des absurden Arbeitsverbots für Asylbewerber getan hat. Es muss aber auch klar sein, dass es rote Linien gibt, wenn es um die Grundprinzipien unseres Landes geht. Wir sind überzeugte Europäer. Die EU bringt uns Frieden und Wohlstand. Dazu gehört der Euro. Wir sind eine Exportnation, und dazu gehört Weltoffenheit und Toleranz. Das darf aber nicht verwechselt werden mit Beliebigkeit. Jede Gesellschaft braucht klare Regeln: Keine Toleranz gegenüber Intoleranz. Das gilt gegen Islamisten wie Rechtsradikale. Auch ich fürchte mich vor dem Islamismus. Aber Fanatismus kann nicht mit anderem Fanatismus bekämpft werden.

Frage: Angela Merkel hat sich gegen Fremdenhass gewandt und Zuwanderung als Gewinn bezeichnet. Folgen der CDU-Chefin alle in der Union?

Antwort: Ich finde sehr begrüßenswert, dass die Kanzlerin in ihrer Neujahrsansprache klare Worte gefunden hat. Mein Eindruck war, diese Worte richten sich nicht nur an uns alle, sondern auch bewusst an die eigenen Reihen. Wo der ein oder andere versucht, rechts zu blinken in der Hoffnung, Pegida als auch AfD klein zu machen. Das einzige, was damit erreicht wird, ist, dass man die Union klein macht und Pegida und die AfD größer.

Frage: Geht es nach Ex-CSU-Innenminister Hans-Peter Friedrich und einigen Unionspolitikern, ist Merkel mit ihrem Mitte-Kurs mitverantwortlich für den Zulauf für Pegida und die Wahlerfolge der AfD ...

Antwort: Bei Herrn Friedrich scheint persönliche Enttäuschung über die eigene Karriere im Spiel zu sein. Würde die Union Friedrich folgen, würde sie nicht mehr bei 40 Prozent liegen, sondern eher bei 30 Prozent und weniger.

Frage: Warum? Machen Sie sich Sorgen um die Union?

Antwort: Keinesfalls. Aber auch CDU/CSU-Mitglieder haben Kinder, die mit Migranten verheiratet sind; die Unions-Parteien haben Migranten in den eigenen Reihen. Auch christdemokratische Frauen wollen Beruf und Kinder miteinander vereinbaren und sind auf Kitas angewiesen. Und der ein oder andere hatte sein Coming-out. Das alles geht ja an der CDU und CSU nicht vorbei. Ich bin nicht der Berater der Union. Aber wenn Herr Friedrich ein Zurück in die 1950er Jahre empfiehlt, würde die Union viele gesellschaftliche Trends verschlafen und damit ihre Mehrheitsfähigkeit verlieren.

Frage: CDU-Vize und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier zumindest glaubt nach dem schwarz-grünen Testlauf in seinem Land, dass die Bundestagswahl 2017 eine Richtungsentscheidung zwischen Schwarz-Grün und Rot-Rot-Grün wird. Zuviel Umarmung von der CDU?

Antwort: Also erst einmal: Wir sind gerade ins Jahr 2015 gestartet. Bis Herbst 2017 dauert es noch eine Weile. Man wird sehen, wie die Union sich entwickelt. Ob sie dem Beispiel des Thüringer Fraktionschefs folgt und mit der AfD Absprachen trifft. Ob sie wie in Sachsen einen klaren Kurs gegen Rechts vermissen lässt, was ja das Gegenteil dessen ist, was Frau Merkel empfohlen hat. Für uns ist klar: Uns reicht kein grünes Mäntelchen. Wir wollen grüne Politik in der Regierung umgesetzt sehen. Da werden wir uns sehr genau anschauen, mit welchem Partner das geht. Aber Koalitionsdebatten werden wir jetzt nicht führen. Ein Lagerwahlkampf ist zum Scheitern verurteilt.

Frage: Stichwort Wahlen: In Griechenland muss eine neue Regierung gewählt werden. Es könnte in Athen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen den regierenden Konservativen und der linken Syriza-Partei werden, die den Sparkurs beenden will. Steht der Euro vor neuen Turbulenzen?

Antwort: Jetzt trifft womöglich das ein, wovor wir immer gewarnt haben. Natürlich musste Griechenland zu entscheidenden Reformen gedrängt werden. Die andere Seite der Medaille aber ist, dass man die Menschen dabei mitnehmen muss. Was nützt es uns denn, wenn ein Land nach dem anderen kippt, politisch nicht mehr regierungsfähig ist und extreme Rechte und Linke immer stärker werden? Was passiert denn, wenn (die Chefin der rechtsextremen Front National) Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen in Frankreich in die nächste Runde kommt und Aussicht hat, Präsidentin zu werden? Neben dem Sparen müssen wir uns um die Herzen und den Verstand der Menschen kümmern, sonst geht die EU kaputt. Gerade im so wichtigen Verhältnis zu Frankreich hat die Bundesregierung unter Frau Merkel in den vergangenen Jahren versagt.

ZUR PERSON: Cem Özdemir (49) ist der erste Parteichef mit türkischen Wurzeln. Inzwischen das dritte Mal im Amt bestätigt, führt er die Grünen seit 2008 - seit gut einem Jahr gemeinsam mit der Parteilinken Simone Peter. Er ist gelernter Erzieher und stammt aus Schwaben.

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