Nach Deutschland um jeden Preis

Izmir (dpa) - „Es kostet etwa 800 oder 900 Dollar. Damit kommst du bis nach Deutschland, oder wo auch immer in Europa du hinwillst“: Der Menschenschmuggler Abu Munir spricht offen über seine Aktivitäten.

Nach Deutschland um jeden Preis
Foto: dpa

Nur wenige Meter entfernt von einer Polizeiwache im türkischen Izmir sitzt er mit einer Gruppe anderer Männer auf niedrigen Plastikhockern. Sie rauchen und trinken Tee. Laut und selbstbewusst erzählen sie, wie das Geschäft mit der Verzweiflung funktioniert.

Eine Stunde - länger dauert die Bootsfahrt für die syrischen Flüchtlingsfamilien von der Küste zu den nahe gelegenen griechischen Inseln nicht. Kinder unter fünf Jahren fahren gratis, Preisnachlässe gibt es für Arme oder Verletzte, erklärt Abu Munir, der selbst aus dem ostsyrischen Dair as-Saur stammt. „Der Krieg dauert sicher noch zehn Jahre oder mehr“, befürchtet er. Die Hoffnung auf eine Rückkehr hat er längst aufgegeben.

Flüchtlinge lassen sich vor allem von rauem Wetter abschrecken, die Polizei ist ihnen egal, wie der Schlepper sagt. In den Straßen der Küstenstadt Izmir werden an allen Ecken Schwimmwesten zum Verkauf angeboten. Im Sommer wagen mehr Menschen die Überfahrt. Der heftige Seegang im Winter macht den Flüchtlingen und den Schmugglern Angst.

Zu Recht: Dutzende Menschen liegen in den Gräbern auf einem Friedhof in den Bergen über der Stadt. Sie haben die Überfahrt in den oft schadhaften Booten nicht überlebt. Auf den Gräbern stehen keine Namen, nur fünfstellige Nummern. Einige sind winzig - hier wurden Babys oder Kleinkinder beigesetzt.

„Ich warte, bis das Wetter besser wird, dann mache ich mich auf den Weg nach Europa“, sagt der junge Syrer Mohammed (20). Er ist vor Kurzem aus Damaskus geflüchtet. Er fürchtete, in die Armee eingezogen zu werden. „Es herrscht ein Bruderkrieg in Syrien“, sagt er. Damit wolle er nichts zu tun haben. Außerdem habe er Angst vor der Regierung. Freunde seien festgenommen worden, seitdem habe man nichts mehr von ihnen gehört. In seiner Lederjacke steht er mit anderen Syrern an einer Straßenecke. Auch sie planen ihre Reise. „In Syrien gibt es keine Zukunft“, meint er und träumt von einem Uni-Abschluss.

In den Häusern um Mohammed sitzen syrische Familien an den Fenstern billiger Hotels, Kindergeschrei tönt durch die engen Seitenstraßen. Viele sind schon seit einigen Jahren in der Türkei - sie haben keine Arbeitsgenehmigungen und wollen daher auch nach Europa. Die türkische Küstenwache zwinge zwar manchmal Boote zur Umkehr, aber die meisten kämen durch, sagt Abu Munir. „Die Polizei war in den vergangenen Monaten weniger strikt.“

Im November kamen die EU und die Türkei überein, dass die Regierung in Ankara den Grenzschutz verbessern und den Kampf gegen Schlepper ausweiten müsse. Im Gegenzug wollte die EU mindestens drei Milliarden Euro für die gut zwei Millionen syrischen Flüchtlinge in der Türkei zahlen. Seitdem herrscht rege Shuttle-Diplomatie zwischen Europas Hauptstädten und Ankara. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) besuchte die Türkei im Februar: „Als Merkel kam, haben sie die Boote für zwei Tage gestoppt. Dann ließ uns die Polizei wieder fahren“, sagt der Schlepper Abu Munir. Das Abkommen hält er für „Müll“.

Am Montag soll auf dem EU-Türkei Gipfel in Brüssel eine Lösung gefunden werden. Für die geflüchteten Syrer gibt es aber ohne ein Ende des Konflikts in ihrem Heimatland keinen Ausweg aus der Krise. Ein Deal zu Hilfsgeldern und strengere Kontrollen könnten daran nichts ändern, meinen sie. Die Menschen würden niemals aufgeben, nach Europa zu kommen, meint Abu Munir. „Die Europäer sollten ihre Grenzen öffnen und uns legal einreisen lassen.“ Er rät den Verantwortlichen, die Flüchtlinge gleichmäßig in den europäischen Staaten und auch in Amerika zu verteilen.

„Als sie die Landgrenzen geschlossen haben, sind wir über das Meer. Wenn sie das Meer absperren, werden wir einen anderen Weg finden. Es ist nicht aufzuhalten.“

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