Mit dem „Zypern-Soli“ bricht Europa ein Tabu

Brüssel (dpa) - Wichtige Beschlüsse für die Menschen in Europa werden in Brüssel gerne in den frühen Morgenstunden von ermatteten Verhandlungsführern mitgeteilt. So war es auch beim Rettungspaket für das pleitebedrohte Zypern.

Zehn Stunden dauerte der Poker um das Programm mit einem Umfang von etwa zehn Milliarden Euro. Die eigentliche Bombe des Pakets präsentierte der angespannt wirkende Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem dann am Samstag nur auf Nachfrage: die Beteiligung zyprischer Bankkunden an der lange verhandelten Rettungsaktion.

Wer mehr als 100 000 Euro auf dem Konto hat, muss eine „Solidaritätsabgabe“ von 9,9 Prozent berappen, bei niedrigeren Beträgen sind es 6,75 Prozent. Es war schnell vom „Zypern-Soli“ die Rede. Auch Russen oder andere Ausländer, die ihr Geld auf der Insel haben, sind betroffen. So etwas gab es bei den Rettungsaktionen für Portugal, Griechenland oder Irland nicht.

Warum nun ausgerechnet Zypern? Die Befürchtung der Retter war groß, dass ein Hilfsprogramm den Schuldenstand des kleinen Landes auf ein nicht mehr tragfähiges Niveau treiben könnte. Da musste private Beteiligung her. „Das sind einzigartige Maßnahmen“, versicherte Dijsselbloem. Sein französischer Amtskollege Pierre Moscovici fügte düster hinzu: „Die Eurogruppe hat getan, was getan werden musste.“

Und dann war da noch der deutsche Bundestagswahlkampf, der in offiziellen Stellungnahmen natürlich sorgsam ausgeklammert wurde. Die Forderung der SPD, dass die zyprischen Anleger selbst die Kosten übernehmen sollen, spielte eine nicht zu unterschätzende Rolle. Finanzminister Wolfgang Schäuble gehörte laut Diplomaten zumindest zu denjenigen, die bei der Zypern-Rettung einen richtig harten Kurs fuhren. Der CDU-Politiker verließ das Konferenzgebäude zu nächtlicher Stunde, ohne den Kompromiss zu kommentieren.

Schon beim EU-Gipfel, der am Freitag vor dem Finanzministertreffen endete, wurde das Zypern-Programm auf den Weg gebracht. Diskret, selbstverständlich. Teilnehmer der Spitzenrunde reagierten auf dem Gang auf Fragen zum Reizthema Zypern mit ganz ernsten Mienen und bedeutungsvollen Blicken. Klar war: Die Vorbereitungen liefen.

Der neu gewählte konservative Staatspräsident Nikos Anastasiades traf am Rande des Gipfels zahlreiche EU-Spitzen. Offizielles Thema waren die Milliardenhilfen auf der Mittelmeerinsel nicht, denn der Bericht der Geldgeber-Troika lag noch nicht vor. Außerdem legten die „Chefs“ - auch aus Gründen von heimischen Wahlkämpfen - die heiße Kartoffel lieber in die Hände ihrer Fachminister.

Nach Vereinbarung des Kompromisses erinnerte EU-Währungskommissar Olli Rehn etwas gequält daran, dass der Hilfsantrag aus Nikosia schon seit neun Monaten vorliegt. Die von Zypern selbst stets zurückgewiesenen Vorwürfe, wonach die Insel ein Hafen für Geldwäscher sei, machten die Verhandlungen nicht einfacher.

Unter dem Strich tut sich die Eurozone immer noch schwer mit Rettungsaktionen für klamme Mitglieder. Obwohl Hilfen schon seit drei Jahren laufen und die 17 Staaten inzwischen über einen riesigen Rettungsschirm verfügen, sind Vorbereitungen mit Troika-Besuchen und Nacht-Verhandlungen meist ein Psychodrama mit kaum vorstellbaren Dimensionen. Viele sehen darin eine Schwäche der Europäer.

Die Folgen des Tabubruchs bei Zypern sind bisher kaum zu ermessen. Die Verantwortlichen versichern zwar, die von einer Bankenkrise erschütterte Insel sei ein Sonderfall, die Rettung sei keine Blaupause für andere Länder. Doch wenn der smarte Niederländer Dijsselbloem konkret gefragt wird, ob sich die Krisenländer Italien und Spanien auf das Modell Zypern einstellen müssen, wenn sie von den Euro-Partnern Geld haben wollen, lautet die lapidare Antwort: „Das wurde nicht debattiert. Darüber möchte ich nicht spekulieren.“

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