Analyse Kim sucht Schützenhilfe bei Xi

Peking/Seoul (dpa) - Es war eine historische Bahnfahrt, die das Kräftegleichgewicht im diplomatischen Ringen um Nordkoreas Atomwaffen- und Raketenprogramm verschoben hat.

In dem Sonderzug aus Pjöngjang saßen Kim Jong Un und seine Frau Ri Sol Ju in geheimer Mission. Er fuhr gerade mal 60 Stundenkilometer, hatte aber Vorfahrt. Strecken wurden gesperrt, Reisende mussten warten. Ein Zug wie sonst kein anderer - gepanzert, mit Schlafzimmern, luxuriösen Salons und Satellitentelefon, wie es heißt. Dunkelgrün mit einem markanten gelbem Streifen. Schon sein Vater Kim Jong Il reiste in so einem Zug nach China und Russland, aß unterwegs frischen Hummer und trank gute Rotweine, Beaujolais und Bordeaux, wird berichtet.

Erst als diese nordkoreanische Version des „Orient Express“ am Mittwoch wieder über die Grenze zurückgekehrt war, lüftete Chinas Führung das Geheimnis des mysteriösen Zuges und der hohen Gäste in Peking. Plötzlich gab es Bilder vom Besuch, wie Kim Jong Un und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping händeschüttelnd in die Kameras lächeln. Als wenn nichts gewesen wäre. Dabei war Chinas Präsident tief verärgert über den jungen, respektlosen Mann, der das große Reich der Mitte mit seinen Atom- und Raketentests an der Nase herumgeführt hatte. Davon ist keine Rede mehr. Zumindest öffentlich.

Es war ein „inoffizieller“ Besuch, aber Xi Jinping rollte dem Führer aus Pjöngjang mit Blaskapelle und Nationalhymne den roten Teppich aus, wie nachträglich im Staatsfernsehen zu sehen war. In der Großen Halle des Volkes gab Xi Jinping der Delegation einen großen Staatsempfang mit so vielen Teilnehmern, das verwunderlich war, wie die Visite geheimgehalten werden konnte. Chinas Staatsmedien mussten aber wie üblich dicht halten. Nur im Internet kursierten Fotos und Videos vom Autokonvoi mit der Motorradstaffel. Die Zensur lief auf Hochtouren, blockte Hinweise auf Kim Jong Un - selbst seinen chinesischen Spitznamen „Kim der dritte Fette“ (Jin San Pang).

Seine erste Auslandsreise war ein kluger Schachzug: Vor seinen heiklen Gipfeln mit Südkoreas Präsident Moon Jae In und US-Präsident Donald Trump holte sich Kim Jong Un Schützenhilfe beim traditionellen Verbündeten China. Sollte der Gipfel mit Trump platzen und wieder alles gefährlich auf einen militärischen Konflikt zulaufen, braucht der Machthaber die Chinesen, um mäßigend zu wirken.

„Die Wiederherstellung der nordkoreanisch-chinesischen Beziehungen wird Kim Jong Un voraussichtlich größere Verhandlungsstärke bei den Treffen mit Südkorea im April und mit den USA im Mai geben“, schrieb Südkoreas Zeitung „Hankyoreh“. Er werde wohl im Gegenzug für eine „Denuklearisierung“ eine Sicherheitsgarantie für sein Land und eine Normalisierung der Beziehungen mit den USA fordern.

Nach dem ersten Ausbruch aus seiner jahrelangen Abschottung wurde Kim Jong Un in den Medien zuhause als Staatsmann mit diplomatischem Geschick präsentiert. Es war viel von traditioneller Freundschaft mit China und strategischer Zusammenarbeit die Rede - über die Uneinigkeit im Streit um das Atomprogramm kein einziges Wort. Im Gegenteil: Xi Jinping wurde mit den Worten zitiert, die jüngste positive Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel könne einer „strategischen Entscheidung“ Kim Jong Uns zugeschrieben werden.

Für China wiederum war seine Visite ein unerhofftes Geschenk. Nach der Annäherung des nordkoreanischen Führers seit Jahresanfang an Südkorea spielte China bei den Plänen für die Gipfel nur die Rolle eines Außenseiters. Indem sich Kim Jong Un wieder der alten Freundschaft beider Ländern besinnt, schiebt er Xi Jinping erneut ins Zentrum des diplomatischen Tauziehens.

„China will in die Zeit der Sechs-Parteien-Gespräche zurückkehren, als es die dominante Position in der Diplomatie für eine Entnuklearisierung der koreanischen Halbinsel einnahm“, sagte der kritische chinesische Historiker Zhang Lifan. So hoffe China auch, dass der Gipfel zwischen Trump und Kim Jong Un in Peking stattfinden könne. Bis 2009 verhandelten Nordkorea, die USA, Südkorea, Japan und Russland unter Chinas Vermittlung - eher qualvoll, ohne Ergebnis.

In dem Konflikt hat China drei Prioritäten: Erstens, Krieg verhindern. Zweitens, den Status Quo wahren. Und drittens, eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel schaffen. Verhandlungen sichern zumindest die ersten beiden Punkte. Atomare Abrüstung ist da nur ein sehr langfristiges Ziel. Doch die Reihenfolge der Prioritäten der USA ist genau umgekehrt. Ganz oben: Atomwaffen abschaffen. Wenn nicht, droht Krieg. Der Status Quo interessiert Trump nicht.

So läuft alles auf einen „Showdown“ zwischen Kim Jong Un und Trump hinaus. Nicht nur in den USA herrschen große Zweifel, dass Nordkorea die Forderung nach einer kompletten, überprüfbaren und unumkehrbaren atomaren Abrüstung tatsächlich erfüllen wird, nachdem der Machthaber jahrelang solch einen Schritt kategorisch ausgeschlossen hat. „Ohne Atomwaffen ist er nichts“, sagte der Historiker Zhang Lifan.

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