Analyse Katalonien-Streit: Spanien fürchtet offene Konfrontation

Barcelona/Madrid (dpa) - Der katalanische Regierungschef hat es spannend gemacht. Bis kurz vor Ablauf des Madrider Ultimatums wartete Carles Puigdemont, bis er schließlich doch die von allen erwartete Antwort gab: Barcelona lässt sich nicht vom Kurs Richtung Unabhängigkeit abbringen.

Analyse: Katalonien-Streit: Spanien fürchtet offene Konfrontation
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Die Retourkutsche der Zentralregierung kam prompt: Sie will die reiche Region im Nordosten mit Zwangsmaßnahmen im spanischen Staat halten.

Auf den von Puigdemont geforderten politischen Dialog lässt sich Ministerpräsident Mariano Rajoy gar nicht erst ein. Er verfolgt strikt die juristische Linie, dass sich die Führung in Katalonien mit ihrem Vorgehen über das Recht hinwegsetzt.

Die Argumente dafür liefert ihm sein Rivale selbst. Gleich im ersten Satz von Puigdemonts Schreiben: „Das Volk von Katalonien hat in einem Referendum am 1. Oktober mit einem hohen Stimmenanteil die Unabhängigkeit beschlossen.“ Dabei hatte das Verfassungsgericht diese Abstimmung für rechtswidrig erklärt.

Lange haben die meisten Spanier den Konflikt als Provinzposse belächelt. Das ist vorbei. Es sei jetzt fünf vor zwölf, warnte der katalanische Sozialistenchef Miquel Iceta. Der 57-Jährige - eine der gemäßigten Stimmen im Konflikt und für seine ausgewogenen Einschätzungen bekannt - trat nach den gegenseitigen Drohungen zwischen Madrid und Barcelona sofort vor die Journalisten. Er warnte vor einem „Desaster“. Noch gebe es ein wenig Zeit, sich auf Gespräche einzulassen.

Wie geht es weiter? Diese Frage beschäftigt alle, auf den Straßen, in Cafés und Büros in Madrid und Barcelona, aber auch in Valencia, Bilbao oder Málaga. Eine Antwort wagt niemand zu geben. Seit dem Ende der Franco-Diktatur (1939-1975) war Spanien noch nie in einer solchen Krise. Auch wenn manche die Situation mit dem berüchtigten „23-F“ vergleichen.

„23-F“, das war der 23. Februar 1981. Bei einem Putschversuch von Teilen der Guardia Civil und des Militärs stürmte Oberstleutant Antonio Tejero mit bewaffneten Hundertschaften abends in eine Parlamentssitzung. Das entschlossene Auftreten des damaligen Königs Juan Carlos nahm den Putschisten schnell den Wind aus den Segeln.

Viele blicken jetzt auf Juan Carlos' Sohn und Nachfolger Felipe VI. Der König wird an diesem Freitag in der nordspanischen Provinzhauptstadt Oviedo bei der Verleihung der Prinzessin-von-Asturien-Preise sprechen, in Anwesenheit von Antonio Tajani, dem Präsidenten des EU-Parlaments.

„Was Felipe morgen sagt, wird von entscheidender Bedeutung sein“, erwartet der stellvertretende Chefredakteur der Zeitung „El País“, Javier Ayuso. Allerdings hat der König in einer Ansprache nach dem Referendum in Katalonien vom 1. Oktober viele enttäuscht, die auf Anstöße zur Versöhnung gehofft hatten.

Puigdemont wiederum hätte das Ultimatum am Donnerstag auch einfach verstreichen lassen können. Mit seiner Antwort kommt er jedoch den radikalen Kräften in den eigenen Reihen entgegen. Jetzt bleibt ihm kaum noch eine andere Option, als tatsächlich die Unabhängigkeit auszurufen.

Im Regionalparlament ist das JxSí-Bündnis von Puigdemont auf die Unterstützung der Linkspartei CUP angewiesen. Beide Parteien haben bereits erklärt, dass sie die Unabhängigkeitserklärung „in den nächsten Tagen“ verabschieden wollen, falls Rajoy zum Verfassungsartikel 155 greift - was nun eingetreten ist.

Die Ankündigung einer Sondersitzung des Kabinetts am Samstag könnte den Prozess hin zur Unabhängigkeitserklärung nun beschleunigen. Beide Parteien haben ihren Abgeordneten bereits nahegelegt, sich für eine Sitzung des Regionalparlaments am Wochenende bereitzuhalten.

Besonnene Stimmen haben es in diesen Tagen nicht leicht, Gehör zu finden. Noch kurz vor Ablauf des Ultimatums rief der Generalsekretär der Linkspartei Podemos, Pablo Iglesias, beide Seiten dazu auf, nicht noch „mehr Holz ins Feuer“ zu werfen, sondern den Brand zu löschen. Der vernüftigste Weg wäre aus seiner Sicht eine geordnete Volksabstimmung in Katalonien mit Zustimmung der Zentralregierung.

Es gibt in Spanien noch Hoffnung, dass es nicht zur offenen Konfrontation, zur Inhaftierung von Spitzenpolitikern, zu Unruhen, einer Spaltung der Gesellschaft in Katalonien und schweren Schäden für die Wirtschaft kommt. Aber diese Hoffnung schwindet immer mehr, immer schneller.

Auch Rajoy wird von Hardlinern in den eigenen Reihen unter Druck gesetzt. Der ehemalige Regierungschef José María Aznar hat Rajoy aufgefordert, das Katalonien-Problem endlich mit harter Hand zu lösen oder aber seinen Platz im Moncloa-Palast zu räumen. Am Donnerstag meldete sich das Schwergewicht der Volkspartei gleich zu Wort: Bisher hätten die Separatisten viele Aktionen der Zentralregierung als Schwäche ausgelegt. Das müsse jetzt ein Ende haben.

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