Analyse : Katalonien-Countdown setzt EU und Madrid unter Druck
Madrid/Barcelona/Brüssel (dpa) - Julian Assange, Günther Oettinger und Aleix Espargaró haben wenig gemein. Der Wikileaks-Gründer, der deutsche EU-Kommissar und der spanische Radprofi stimmen aber in einem wichtigen Punkt überein: Sie warnen vor einem Bürgerkrieg in Katalonien.
Die Unabhängigkeitsbestrebungen in der spanischen Region, lange Zeit als exotische Provinzposse abgetan, beunruhigen immer mehr. „Die Angst wächst“, schrieb in der Zeitung „El Periódico“ der angesehene Kolumnist Joan Tapia. Und wachsen tut auch der Druck auf die EU und die Zentralregierung in Madrid, die weiterhin Gespräche mit den Separatisten ablehnen.
Nur vier Tage vor einer Plenarsitzung des Regionalparlaments in Barcelona, bei der am Montag die Erklärung der Abspaltung von Spanien erwartet wurde, hätte Mariano Rajoy sich sicher eine bessere Nachricht gewünscht. Kein Geringerer als Ex-Regierungschef José María Aznar (1996-2004), ein „Schwergewicht“ in Rajoys konservativer Volkspartei PP, rief den Ministerpräsidenten dazu auf, das Problem endlich zu lösen - oder aber seinen Platz im Palacio de la Moncloa zu räumen und Neuwahlen auszurufen.
Wer hätte das vor kurzem gedacht, dass der Erzkonservative Aznar und die linke Partei Podemos, die zur Konfliktlösung ebenfalls neue Wahlen fordert, fast auf einer Linie schwimmen würden? Klar, Aznar fordert ein hartes Durchgreifen gegen die Separatisten, Podemos-Chef Pablo Iglesias will dagegen Dialog. Ebenso wie die Sozialisten (PSOE), die zweitstärkste Kraft im Nationalparlament. PSOE-Chef Pedro Sánchez sagte vor einigen Tagen, er werde Rajoy „dazu zwingen“, mit den Katalanen eine Vereinbarung auszuhandeln.
Aznar, Iglesias, Sánchez - sie alle gehen im Namen der besorgten spanischen Volksseele auf die Barrikaden. Nach einer am Donnerstag veröffentlichten Umfrage des Forschungsinstituts CIS wuchs der Anteil der Spanier, die sich wegen Katalonien große Sorgen machen, zwischen Mitte August und Mitte September um das Dreifache auf knapp acht Prozent. Und da wussten die Befragten noch nicht, dass die katalanische Regionalregierung von Carles Puigdemont gegen Vetos des Verfassungsgerichts und Madrids tatsächlich ihr „verbindliches Referendum“ über eine Unabhängigkeit durchziehen würde.
Das „Ja“-Lager gewann am Sonntag klar. Die Gegner der Unabhängigkeit blieben den Urnen aber mehrheitlich fern.