„Große Angst“ Jahrhundertbeben lässt Mexiko erzittern

Mexiko-Stadt/San Cristóbal (dpa) - Es ist kurz vor Mitternacht, als in San Cristóbal die Erde bebt. Der Strom fällt aus, Hunde jaulen und Menschen rennen in Panik auf die Straße.

„Große Angst“: Jahrhundertbeben lässt Mexiko erzittern
Foto: dpa

„Ich habe gedacht: Das war es jetzt, ich werde sterben. Es hat mein Herz zusammengedrückt“, sagt Ricarda Jiménez Cordero. Die 70-Jährige räumt gerade die Küche auf, als das Beben der Stärke 8,2 die malerische Kolonialstadt San Cristóbal im südlichen Bundesstaat Chiapas erschüttert. „Gott hat uns eine zweite Chance gegeben“, sagt Jiménez, als das Beben abgeklungen ist. „Das Beben war sehr stark, aber Gott sei Dank wir leben noch.“

Das Beben in der Nacht zum Freitag ist das stärkste in Mexiko seit fast einem Jahrhundert. Selbst das verheerende Erdbeben von 1985, bei dem mindestens 10 000 Menschen ums Leben kamen, war etwas schwächer. Damals lag das Zentrum deutlich näher an der Millionenmetropole Mexiko-Stadt.

Mindestens 58 Menschen kommen ums Leben, mehr als 200 werden verletzt, wie die Behörden mitteilen. Die Zahlen könnten noch steigen. Präsident Enrique Peña Nieto eilt noch in der Nacht ins Katastrophenzentrum, um sich über die Aufräum- und Rettungsarbeiten zu informieren. „Das war ein starkes Beben, 50 Millionen Mexikaner konnten es spüren“, sagt der Staatschef.

Luis Gómez rennt im Schlafanzug mit seiner Frau und seinen drei Töchtern auf die Straße. „Das Beben war sehr schlimm, so ein starkes Erdbeben habe ich noch nie erlebt“, sagt der Familienvater aus San Cristóbal. „Wir konnten nicht im Haus bleiben, weil es mit Stahlelementen gebaut ist und wir Angst hatten, dass sie uns erschlagen.“

Auch in Mexiko-Stadt ist das heftige Beben zu spüren. In vielen Vierteln fällt der Strom aus, Schranktüren springen auf und Bücher fallen aus den Regalen. Das Unabhängigkeitsdenkmal im Zentrum der Hauptstadt mit seinem goldenen Engel an der Spitze schwankt bedenklich. Am Flughafen tun sich Risse in den Gängen auf, eine Glastür zerschellt in Tausende Splitter.

„Das war ein sehr starkes Beben. Hier sind Sachen aus den Regalen gefallen“, sagt Liliana Rubio, die in der Nacht in einem kleinen Geschäft an der Kasse stand. „Ich habe im Lagerraum Schutz gesucht. Ich hatte große Angst.“ Auch dem Straßenverkäufer José Escalante steckt der Schreck noch in den Knochen: „So ein heftiges Erdbeben hatten wir hier seit 1985 nicht mehr.“

Konstantin Stöhr betreibt die Metzgerei „Selva Negra“ (Schwarzwald) in Mexiko-Stadt. „Wir haben den Alarm gehört. Meine Familie und ich haben uns angezogen und sind auf die Straße. Alle waren draußen, ich habe da 50 bis 60 Leute gesehen. Die Stimmung war eigentlich ruhig“, erzählt der deutschstämmige Unternehmer.

Im Bundesstaat Tabasco stirbt ein Baby, weil sein Beatmungsgerät wegen des Stromausfalls nicht mehr funktioniert. Zahlreiche Menschen werden von herabstürzenden Trümmerteilen erschlagen. In Matías Romero fällt ein ganzes Hotel in sich zusammen. Besonders stark wird die Stadt Juchitán im Bundesstaat Oaxaca getroffen. Dort stürzt das Rathaus ein. Ein Mann zieht die mexikanische Flagge aus dem Schutt, knüpft sie an eine Stange und pflanzt sie auf den Trümmerberg. „Über 100 Häuser sind zerstört“, sagt die Bürgermeisterin im Radio. Das Innenministerium erklärt für Dutzende Ortschaften den Notstand.

Nach dem schweren Beben geht in Mexiko die Angst vor Nachbeben um. Diese sind häufig gefährlicher als der erste Erdstoß, weil sie beschädigte Gebäude endgültig zum Einsturz bringen können. In den besonders stark betroffenen Bundesstaaten Oaxaca, Chiapas und Tabasco suchen die Rettungskräfte am Morgen nach Verschütteten. Zahlreiche Mauern und Gebäude sind eingestürzt, darunter könnten noch mehr Opfer begraben sein. In den Regionen wurden Sammelstellen für Lebensmittel, Kleidung und Hygieneartikel eröffnet.

Selbst betagte Mexikaner können sich kaum an ein so schweres Erdbeben erinnern. „Mit meinen 93 Jahren habe ich noch nie ein so starkes und langes Erdbeben erlebt. Ich habe mich sehr erschrocken“, sagt Margarita Morales. Der 85-jährige Juan Martínez Ramos bereitet sich in seinem Bett schon auf den Tod vor: „Mein Haus hat sich hin und her bewegt wie eine Hängematte.“

Auch die französische Touristin Mimi bekommt in San Cristóbal den Schreck ihres Lebens. Sie liegt mit ihrem Freund bereits im Bett, als die Erde zu beben beginnt. „Wir haben uns angesehen, sind aufgesprungen und haben uns an die Wand gedrückt, um uns zu schützen“, erzählt sie. „Ich hatte Angst. Das war das erste Erdbeben, das ich miterlebt habe. In Frankreich gibt es nie Erdbeben.“

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