Hintergrund: Libyens Gaddafi - zwischen Operette und Drama

Berlin (dpa) - Muammar al-Gaddafi herrscht seit mehr als 40 Jahren über das ölreiche Libyen. Der lange wegen seiner Unterstützung des internationalen Terrorismus isolierte „Revolutionsführer“ blieb auch als Handelspartner des Westens eine schillernde Figur.

Im Jahr 2002 rollte Gaddafi mit einem Konvoi aus mehr als 100 Fahrzeugen durch mehrere Länder Afrikas. Dabei waren 60 gepanzerte Autos, Soldaten in zwei Bussen sowie ein Kühllastwagen mit Ziegenfleisch und anderen Köstlichkeiten. An vielen Raststätten sorgte der Tross für Verwirrung. Zum Tankstopp kreisten dort Hubschrauber, und Gaddafi verteilte Autogrammkarten. Der Außenminister Mosambiks musste einen ganzen Tag an der Grenze auf seinen Gast warten: Wegen eines Jagdausflugs mit König Mswati III. von Swasiland verspätete sich Gaddafi um 24 Stunden.

Auch zu Staatsbesuchen in den Westen reist der wahlweise in goldbestickte Operetten-Uniformen oder wallende Beduinengewänder gekleidete Staatsführer gern mit großem Gefolge. Im August 2010 brachte Gaddafi zur Rom-Reise sogar 30 Berberpferde mit. Zu nächtigen pflegt der schillernde Diktator gern im eigenen Zelt, das er in Rom bevorzugt im Garten der luxuriösen Residenz seines Botschafters aufschlagen lässt. In Paris stand das mit allem Komfort ausgestattete schwarze Zelt auch schon mal im Park des Gästehauses Hôtel Marigny gegenüber dem Élysée-Palast.

Gern sieht sich Gaddafi auch als Botschafter seines Glaubens. Während eines Rom-Besuchs im November 2009 - Anlass war der UN-Welternährungsgipfel - bat er rund 200 von einem Hostessen-Service ausgewählte Römerinnen zu einer bizarren Islam-Belehrung. Bedingungen für die „Schülerinnen“: Mindestens 1,70 Meter groß, 18 bis 35 Jahre alt und elegant gekleidet. Nach zwei Stunden Vortrag über die Grundlagen des Islam gab es für die Damen noch einen Koran als Abschiedsgeschenk. Gaddafi schien mit der Veranstaltung zufrieden gewesen zu sein, denn er wiederholte sie mit weiteren 200 Damen beim nächsten Rom-Besuch im August 2010.

Als Libyen für 2009 ein Jahr den Vorsitz der UN-Volksversammlung hatte, ließ Gaddafi in der Weltorganisation die Auflösung der Schweiz fordern. Seine Wut auf die Schweiz ist Jahre alt: 2007 wurden der Gaddafi-Sohn Hannibal und dessen Frau wegen der Misshandlung von Hausangestellten in Genf für zwei Tage verhaftet. Im Gegenzug ließ Gaddafi senior zwei Schweizer Geschäftsleute in Libyen „wegen Visavergehen“ für ein halbes Jahr hinter Gitter stecken. Nachdem die Schweizer bei einer Volksabstimmung auch noch mehrheitlich für ein Verbot neuer Minarette stimmten, forderte Gaddafi im Februar 2010 sogar einen Heiligen Krieg („Dschihad“) gegen die Eidgenossenschaft.

Auf dem EU-Afrika-Gipfel in Tripolis forderte Gastgeber Gaddafi im November 2010 von Europa jährlich fünf Milliarden Euro als Gegenleistung für das Aufhalten der afrikanischen Flüchtlingsmassen am Südrand des Mittelmeers. Bleibe der Geldsegen aus Brüssel aus, werde Libyen eben die Grenzkontrollen einstellen, und er lasse das christliche, weiße Europa schwarz werden.

Kopfschütteln erntete der Diktator auch für seinen Auftritt während der aktuellen Unruhen in Libyen. In der Nacht zum Dienstag saß er mit aufgespanntem Regenschirm in einem Auto und murmelte durch die geöffnete Tür, er habe mit den protestierenden Jugendlichen in Tripolis reden wollen, aber dann habe es angefangen zu regnen.

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