„Öl ins Feuer“ Harte Hand gegen Separatisten weckt Kritik

Madrid (dpa) - Das harte Vorgehen der spanischen Justiz gegen die katalanischen Separatisten bringt sogar erfahrene Staranwälte ins Schwitzen.

„Öl ins Feuer“: Harte Hand gegen Separatisten weckt Kritik
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„Das geht alles so schnell, ich kann meine Gedanken kaum ordnen“, sagte einer der Rechtsberater der Angeklagten, Jaume Alonso-Cuevillas, mit nervösem Lächeln im TV. Kurz zuvor hatte Richterin Carmen Lamela am Madrider Staatsgericht neun Mitglieder der am vorigen Wochenende von der spanischen Zentralregierung entmachteten Regionalregierung hinter Gitter geschickt.

Dass die Richterin für die neun, die im Gegensatz zu den fünf übrigen Kollegen um Ex-Regionalpräsident Carles Puigdemont zum Verhör erschienen waren, Untersuchungshaft anordnete, sorgte für viel Aufsehen, Kritik und Empörung. Für acht von ihnen wurde sogar U-Haft ohne Recht auf Freilassung auf Kaution beschlossen. Nach dem Verhör wurden die betroffenen Politiker abends zu verschiedenen Haftanstalten im Madrider Umland gefahren.

Harte Hand. Härter als nötig? „Schwarzer Tag für Katalonien. Die an den Urnen demokratisch gewählte Regierung muss ins Gefängnis“, klagte auf Twitter die linke Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau. Die Sozialistische Arbeiterpartei (PSOE), die stärkste Oppositionskraft im Madrider Parlament, wertete die Entscheidung der Richterin als „unverhältnismäßig“.

Nach spanischen Medienberichten verfasste Lamela zudem am Abend europäische Haftbefehle für Puigdemont und vier ehemalige Minister der entmachteten Regierung, die sich alle nach Belgien abgesetzt hatten. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür zunächst nicht. Aber hat die Richterin eine Wahl? Immerhin hatten die fünf unter anderem der Rebellion bezichtigten Politiker eine Vorladung des Gerichtes missachtet.

Vor dem Staatsgericht sollten sich insgesamt 14 angeklagte Separatisten unter anderem zum Vorwurf der Rebellion äußern. Doch der „Hauptdarsteller“, auf den die große Journalistenschar gewartet hatte, erschien nicht. Zur Stunde, als seine Mitstreiter vor Richterin Lamela saßen, wurde er von spanischen Reportern in einer Cafeteria in Brüssel gesichtet und fotografiert. Dazu schickte er Botschaften von der „legitimen Regierung Kataloniens“ in Richtung Spanien. Damit wollte er augenscheinlich zeigen, dass die Gerichte in Spanien von der Politik beeinflusst sind und ihn kein fairer Prozess erwartet. Wo genau sich der 54-Jährige später aufhielt, blieb ein Rätsel.

Im Falle eines Haftbefehls gegen ihn könnte er eine Auslieferung zumindest einige Zeit hinauszögern. Die Entscheidung hängt vor allem von den belgischen Behörden ab. In den Vergangenheit hatten belgische Richter die Überstellung einer mutmaßlichen Terroristin der baskischen Terrorgruppe ETA verweigert. Damals argumentierten ihre Anwälte, dass Spanien vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bereits mehrfach wegen Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt worden sei. Hintergrund dieser Urteile war der Umgang mit Foltervorwürfen von ETA-Inhaftierten.

Mit seiner Abwesenheit fügte Puigdemont seinen ehemaligen in Spanien gebliebenen Mitstreitern sicher einigen Schaden zu. Unter dem Eindruck der Ausreise von Puigdemont & Co. führte Lamela als Grund für ihre U-Haft-Entscheidung auch Fluchtgefahr an. Wer sich nicht der Justiz stelle, bringe auch den Rest der Angeklagten in Bedrängnis, hatte zuvor auch der Anwalt der ehemaligen katalanischen Parlamentspräsidentin Carme Forcadell geklagt.

Richterin Lamela stand vor einem Dilemma. Auf der einen Seite konnte sie es sich nicht leisten, dass einer oder mehrere der Angeklagten, die der Vorladung gefolgt sind, wegen der Nichtverhängung von vorbeugenden Maßnahmen es sich doch noch anders überlegen und Reißaus nehmen. Wie das etwa der frühere Kulturminister Lluis Puig nach Medienberichten ganz kurz vor seiner Vernehmung getan hatte. Er sei nun mit Puigdemont & Co. in Brüssel, heißt es. Aber die Richterin weiß auch, dass sie mit der Anordnung von U-Haft den Katalonien-Konflikt zusätzlich schüren könnte.

Beobachter warnen schon seit Wochen vor einer „Demütigung“ der Menschen in Barcelona, Sabadell und Girona, in den Bergdörfern, in denen nur Katalanisch gesprochen wird, und der ganzen Region. „Man sollte alle Aktionen und Maßnahmen vermeiden, die die Menschen als Demütigung empfinden könnten. Sonst kann es eine starke Abwehrreaktion geben“, hatte etwa der stellvertretende Direktor der liberalen, in Barcelona erscheinenden Zeitung „La Vanguardia“, Enric Juliá, im spanischen Fernsehen mehrfach gewarnt.

Das Bild von gewählten katalanischen Volksvertretern hinter Gittern könne schlimme Konsequenzen haben, meint auch Artur Mas. „Je mehr Öl man ins Feuer gießt, desto größer wird das Feuer“, sagte der Vorgänger Puigdemonts. „Wenn man die letzten Umfragen anschaut, sieht man, dass (...) der Wunsch nach der Unabhängigkeit Kataloniens gewachsen ist. Weder Gerichte noch Gewalt sind die Lösung“, sagte der Mann, der als Regionalpräsident (2010-2016) das wiederaufgeflammte Streben nach Unabhängigkeit angeführt hatte.

Der 61-jährige Wirtschaftswissenschaftler hat inzwischen allem Anschein nach im Lager der Separatisten erneut eine Schlüsselrolle inne. Er könnte Risse kitten, so dass seine liberale PDeCAt und die Republikanische Linke Kataloniens (ERC) bei den Wahlen am 21. Dezember erneut als geschlossene Einheit antreten. Der „alte pragmatische Fuchs“, wie die Zeitung „El Confidencial“ Mas nannte, könnte es nach Meinung vieler sogar eher als Puigdemont schaffen, dass die Befürworter einer Trennung von Spanien trotz aller Konter-Aktionen der Justiz und der Zentralregierung in knapp zwei Monaten wieder Oberwasser bekommen. Einige Beobachter in Katalonien meinen, Richterin Lamela habe Mas nun Schützenhilfe geleistet.

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