Analyse Gang nach Bellevue - Wann endet die deutsche Hängepartie?

Berlin (dpa) - Als Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer das Schloss Bellevue gegen 22.15 Uhr nacheinander verlassen, zeigen alle ein Lächeln. Der SPD-Chef scheint sogar zu strahlen. Ist das ein positives Zeichen - oder nur Routine für die wartenden Kameras?

Analyse: Gang nach Bellevue - Wann endet die deutsche Hängepartie?
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Berlin (dpa) - Als Angela Merkel, Martin Schulz und Horst Seehofer das Schloss Bellevue gegen 22.15 Uhr nacheinander verlassen, zeigen alle ein Lächeln. Der SPD-Chef scheint sogar zu strahlen. Ist das ein positives Zeichen - oder nur Routine für die wartenden Kameras?

Hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Erfolg mit der Initiative, die zerstrittenen Chefs von CDU, SPD und CSU in seinem Berlin Amtssitz an einen Tisch zu holen? Kommt die seit dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen vor fast zwei Wochen stillstehende Regierungsbildung in einem der wichtigsten Staaten Europas wieder in Gang?

Am Donnerstagabend bleibt das erstmal offen. Das Staatsoberhaupt und die Parteichefs verschwinden ohne ein Wort in ihren Limousinen in die Nacht. Merkel, Schulz und Seehofer haben Stillschweigen vereinbart - am Freitagvormittag wollen sie zunächst in getrennten Runden ihre Parteigremien über die Unterredung informieren.

Deutschland als Stabilitätsanker - gilt das noch? Es lastet Druck auf den drei Vorsitzenden. Zehn Wochen nach der Bundestagswahl ist weiter keine stabile Regierung in Sicht - und das in einer Zeit, in der Nationalismus die Einheit Europas belastet und internationale Krisen auf Lösungen warten. Die Rechtspopulisten der AfD hoffen darauf, andere Parteien vorführen zu können.

Mit einem raschen Start von Sondierungen zwischen CDU, CSU und SPD ist auch nach diesem Abend nicht zu rechnen. „Keiner darf erwarten, dass das schnell geht“, sagt der geschäftsführend in Washington weilende Außenminister und Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel im ZDF-„heute Journal“, während die Beratungen des Bundespräsidenten mit den Vorsitzenden in Berlin noch laufen. CDU, CSU, Grüne und FDP hätten für ihre Jamaika-Sondierungen Wochen gebraucht und seien zu nichts im Stande gewesen. „Da werde ich doch ein bisschen um Verständnis dafür bitten dürfen, dass jetzt nicht der Druck bei uns liegt.“

Wie ist die Lage für die einzelnen Seiten?

CDU: Merkel will eine Minderheitsregierung und eine Neuwahl unbedingt vermeiden. Auch angesichts internationaler Krisen und schwer berechenbarer Akteure wie Donald Trump, Wladimir Putin oder Recep Tayyip Erdogan setzt sie auf eine möglichst stabile Regierung - und damit auf eine Fortsetzung der schwarz-roten Koalition.

Eine Minderheitsregierung würde aus ihrer Sicht eher über kurz als lang zur Neuwahl führen - zu mühsam könnte die Mehrheitsfindung im Bundestag werden. Eine Lähmung des parlamentarischen Systems dürfte nur der AfD in die Hände spielen, glaubt Merkel. Stattdessen lobt sie die Bemühungen Steinmeiers, die Gespräche mit der SPD wieder in Gang zu bekommen. Merkel dürfte darauf hoffen, dass der Bundespräsident seinen Parteifreund Schulz daran erinnert, dass Sozialdemokraten in historisch schwierigen Lagen immer Verantwortung übernommen haben.

CSU: Seehofer steht in diesem Fall eng an der Seite Merkels. Denn für den in einen Machtkampf mit dem Erzrivalen Markus Söder verwickelten bayerischen Ministerpräsidenten dürften bei einer Neuwahl die Chancen auf eine politische Zukunft sinken. Kommt es zu einer Neuauflage von Schwarz-Rot, spekuliert er wohl auf einen Platz als mächtiger Minister an Merkels Kabinettstisch. Doch erstmal stehen für Seehofer CSU-interne Machtproben an: Am kommenden Montag will er seine Zukunftspläne erklären, Mitte Dezember muss er einen Parteitag überstehen. Egal, wie der Machtkampf in Bayern ausgeht: An ihrer Position als Regierungspartei im Bund will die CSU nicht rütteln.

SPD: Schulz hält sich bisher nach außen hin alles offen. Nach seinem kategorischen Nein zur Neuauflage des Bündnisses mit der Union ist er umgeschwenkt auf einen Wir-können-über-alles-reden-Kurs. Die Erlaubnis dazu muss sich Schulz beim Parteitag nächste Woche holen. Die SPD-Führung will die Basis nicht überrumpeln. Schließlich ist der Widerstand gegen eine neue große Koalition unter den Sozialdemokraten groß. Die einen verteufeln die GroKo, die anderen appellieren an die staatspolitische Verantwortung und mahnen, man müsse die Chance nutzen, in Koalitionsverhandlungen möglichst viel herauszuholen.

Die Genossen wollen eh abwarten, wie sich Merkel und Seehofer positionieren. Ein weiteres Treffen mit ihnen dürfte es vor dem Parteitag eher nicht geben. Schließlich sollen die Delegierten nicht das Gefühl haben, die Sache sei schon entschieden. Schulz stellt sich beim Parteitag zur Wiederwahl. Das dürfte klappen - aber auf das Ergebnis kommt es an. Und würde im Falle eines neuen schwarz-roten Bündnisses Schulz in eine Regierung unter Merkel einsteigen? Auch dazu hat er schon mal kategorisch Nein gesagt. Was aus einem solchen Nein werden kann, hat sich gezeigt. Alles offen also.

Bundespräsident: Steinmeier geht es nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen darum, Gespräche zwischen den Parteien wieder möglich zu machen - aktiv Verhandlungen führen will er nicht. Eine Neuwahl will er vermeiden, er sieht die Parteien in der Verantwortung, den Wählerauftrag vom 24. September umzusetzen. Der Ex-Außenminister sorgt sich auch um das Bild Deutschlands in der Welt: Immer wieder ist er darauf angesprochen worden, zuletzt bei der britischen Königin am Dienstag.

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