Freude in Gaucks Heimat: „Das ist richtig schrill“

Rostock (dpa) - Der 44-jährigen Rostockerin Sandra Kunze huscht ein Lächeln übers Gesicht. „Ich bin schon ein bisschen stolz“, sagt sie. „Dass es ein Rostocker so weit nach oben geschafft hat.“

Eben ist Joachim Gauck mit großer Mehrheit zum elften Bundespräsidenten gewählt worden - und zum ersten Ostdeutschen an der Spitze des Staates. „Endlich mal gute Nachrichten aus der Hansestadt“, fügt ihr Mann Jens beim Sonntagsspaziergang auf der Promenade des Ostseebads Rostock-Warnemünde hinzu.

Gauck war 1940 in der Hansestadt zur Welt gekommen und im nahen Wustrow auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst aufgewachsen. Vor der Wende war er Pastor in der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde in einem der DDR-typischen Plattenbau-Siedlungen Rostock-Evershagen und schloss sich dort der Bürgerrechtsbewegung an.

Eine Wegbegleiterin Gaucks seit der gemeinsamen Jugend ist Dietlind Glüer. In ihren Worten klingen nach der Abstimmung in Berlin ein klein wenig Skepsis mit. „Ich habe nicht gedacht, dass er nach der Wahl von Wulff noch mal kandidieren und sich dem Stress aussetzen wird - der Jüngste ist der Jochen ja auch nicht mehr“, sagt sie. Aber wer ihn kenne, wisse auch, dass der 72-Jährige - wenn er gefragt werde - die Verantwortung sehe und sich in die Pflicht nehmen lasse.

„Es wäre schön, wenn er in seiner Amtszeit ein großes Thema anstoßen könnte“, sagt Glüer. Sie meint, dass Gaucks bisheriges großes Thema, die Freiheit, nicht dauerhaft tragen wird. Sie kann sich gut vorstellen, dass er sich den Themen Integration von Minderheiten, bürgerliches Engagement und der Frage einer offenen, tolerante Gesellschaft widmen wird.

„Ich mag Joachim Gauck. Er ist charismatisch, ich mag, wie er redet und mit den Menschen umgeht“, betont die Filmproduzentin Wiebke Possehl. Die Rostockerin hofft, dass Gauck die richtige Entscheidung für sich selbst und Deutschland getroffen hat. „Eine ostdeutsche Kanzlerin, ein ostdeutscher Präsident, das ist richtig schrill.“

Es sind aber auch kritische Rostocker Stimmen zu hören. „Gauck ist zu alt und zu selbstherrlich“, sagt der Mittdreißiger Dirk Bauer. Der 52 Jahre alte Christian Wulff sei das richtige Signal an die Jugend gewesen, auch wenn dessen Amtszeit alles andere als gut gelaufen sei.

Noch klarer in seiner Ablehnung Gaucks ist der 72-jährige Hans- Joachim Kaufmann. „Vor der Wende habe ich nie etwas von ihm gesehen oder gehört. Er ist gerade noch als Letzter aufs Trittbrett der Bürgerrechtler gesprungen“, sagt er. Auch die Zustimmung Gaucks zur Linken-Überwachung durch den Verfassungsschutz oder zum Afghanistans- Einsatz sind ihm ein Dorn im Auge.

Rostocks parteiloser Oberbürgermeister Roland Methling kündigte an, dass die Bürgerschaft am 4. April über eine Ehrenbürgerschaft für den Präsidenten entscheiden wird. In einer nicht repräsentativen Online-Umfrage der „Ostsee-Zeitung“ hatten sich jüngst allerdings 58 Prozent gegen einen Ehrenbürger Gauck ausgesprochen.

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