Proteste im Iran : Forderung nach mehr Reformen oder Regimewechsel?
Teheran (dpa) - Auch mehrere Tage nach Beginn der Proteste im Iran mit bislang zehn Toten und bis zu 800 Festnahmen tun sich Politiker und Medien schwer mit der Einordnung der Geschehnisse.
Geht es, wie am Anfang behauptet, um Kritik an den hohen Preisen und der Wirtschaftspolitik der Regierung von Präsident Hassan Ruhani? Oder soll man den Slogans der in sozialen Netzwerken verbreiteten Videos glauben, die das gesamte islamische Establishment des Landes kritisieren?
„Ich glaube beides“, sagt ein Politologe in Teheran, der wegen der heiklen Lage nicht beim Namen genannt werden wollte. Er teilt die Meinung von Vizepräsident Ishagh Dschangiri. Der vermutete die Hardliner hinter den ersten Protesten in Maschad, Nordostiran, um die Ruhani-Regierung zu schwächen. Der Vizepräsident hatte aber auch gewarnt, dass diese Aktion schnell außer Kontrolle geraten könne. „Und genau das ist dann auch passiert“, sagt der Politologe.
Ruhani selbst zeigte sich offen für Kritik. Die Menschen hätten in einem freien Land das Recht auf Meinungsfreiheit. Aber was bei den Protesten kritisiert wurde, waren seiner Meinung nach nicht nur Wirtschaftsprobleme. Die „Intransparenz“ in Iran sei auch ein Thema gewesen. Was Ruhani als intransparent bezeichnet ist das politische System im Land. Er hat nicht die Macht, viele seiner Regierungsprogramme umzusetzen, weil sie von anderen Gremien blockiert werden. Die wiederum werden von Hardlinern dominiert, die gegen Ruhanis Reformen sind.
„Mullahs schämt Euch, lasst unser Land in Ruhe“, „Wir holen uns unser Land zurück“, „Tod den Taliban“. Diese regimekritische Parolen bei den fast landesweiten Protesten waren in der Tat nicht an Ruhanis Wirtschaftspolitik adressiert. Das bestätigt auch der einflussreiche iranische Kleriker Ahmad Khatami. „Das hat nichts mehr mit Reformern und Nicht-Reformern im Land zu tun und zielt auf das gesamte islamische Establishment“, sagt der Ajatollah.
Im Fokus der Proteste stand diesmal auch die iranische Nahostpolitik. Seit langem haben viele im Iran kein Verständnis mehr für die dezidiert israelfeindliche Politik des Landes. Genauso wenig für die Unterstützung arabischer Staaten wie Palästina, Syrien, Libanon oder jetzt auch Jemen. „Wir sind Arier, keine Araber“, riefen Demonstranten immer wieder.