EU beschließt Stresstests für Atomkraftwerke

Brüssel (dpa) - Bislang war in Europa alles so einfach: Die Nutzung der Atomkraft war und ist in der EU Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. Was bei den Nachbarn geschieht, wurde meist lediglich zur Kenntnis genommen.

So geht Österreich einen radikalen Kurs und hat kein einziges Kernkraftwerk, während Frankreich 80 Prozent seines Stroms aus Atomenergie bezieht. Alles in allem kommen 30 Prozent des Stroms in der EU aus der Kernkraft.

Doch das Atomunglück in Japan hat den Europäern in Erinnerung gerufen, dass die Folgen eines Unfalls im dicht besiedelten Europa eine ganze Reihe von Staaten treffen könnten. Die Gefahren werden ganz neu bewertet - und die EU will mit strengeren Regeln für mehr Sicherheit sorgen. Schon im zweiten Halbjahr sollen Experten europaweit die Atommeiler bei „Stresstests“ unter die Lupe nehmen. Diese simulieren mögliche Unglücke - wie Flugzeugabsturz, Feuer oder einen Terroranschlag - und sollen das Risiko offenlegen. „Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Ergebnisse veröffentlicht werden“, verspricht EU-Energiekommissar Günther Oettinger.

Auch unter den 143 Kernkraftwerken in Europa gibt es einige in erdbebengefährdeten Gebieten. Experten zählen dazu vor allem das Werk im bulgarischen Belene. Aber auch an der deutsch-französischen Grenze ist dies der Fall: Das Kernkraftwerk Fessenheim wurde im Oberrheingraben gebaut, der für seine Erdstöße bekannt ist.

Insbesondere das Nicht-Kernkraftland Österreich sieht sich von grenznahen Kraftwerken bedroht und forderte als erstes Land solche Stresstests. „Keiner will mehr das Risiko eingehen, dass das Nachbarland uralte Technik benutzt oder seine Werke schlecht in Schuss hält“, sagte ein EU-Diplomat am Dienstag. Oettinger ging noch weiter und sagte: „Ich schließe nicht aus, dass wir abschalten müssen.“ Doch beim Umstieg von „sauberer“ Atomenergie auf „schmutzige“ Kohle würde Europa seine Klimaziele verfehlen, warnen Experten.

Die EU-Kommission wiegelt derweil ab. Dass sich in Europa ein ähnlich starkes Erdbeben wie in Japan ereignet, sei „äußerst unwahrscheinlich“. Doch zugleich räumt die EU-Kommission auch ein: „Die meisten der europäischen Atomkraftwerke sind nicht entsprechend gebaut, um solch ein starkes Beben oder einem Tsunami standzuhalten.“ Es gebe eine Handvoll von AKWs, die genau so konstruiert seien wie in Japan.

Problematisch bei allen Plänen für mehr Sicherheit ist, dass die EU derzeit nur teilweise für die Atompolitik zuständig ist. In erster Linie wachen die Staaten selbst darüber. Auf europäischer Ebene legt eine EU-Richtlinie von 2009 bereits Mindestvorschriften wie regelmäßige Kontrollen der nationalen Behörden fest.

Doch die 27 Länder haben noch bis Juli Zeit, diese Regeln in nationales Recht umzusetzen. Zudem reichen die Vorgaben vielen EU-Politikern nicht aus. „Die Richtlinie muss erweitert werden“, fordert die Europa-Abgeordnete Angelika Niebler (CSU). Europa brauche Vorgaben zur Stromversorgung im Krisenfall und für Evakuierungsmaßnahmen.

Nur beim Neubau von Kernkraftwerken hat die EU-Kommission ein Wörtchen mitzureden. In diesem Fall müssen die Betreiber der EU-Behörde ihre Pläne vorlegen, die eine unverbindliche Stellungnahme abgibt. „Bei einer negativen Stellungnahme könnte die Finanzierung schwierig werden. Damit wird der Bau unwahrscheinlich“, sagt die Sprecherin von EU-Kommissar Oettinger. Denn in diesem Fall würden die Europäische Investitionsbank (EIB) und private Banken keine Kredite für das milliardenschwere Projekt mehr bewilligen.

Daneben kontrolliert die EU-Kommission, dass in der EU Uran nur zu friedlichen Zwecken und nicht zum Bau von Atombomben genutzt wird. Nach einem Unfall messen unabhängige EU-Fachleute an der Unglücksstelle die Strahlenbelastung. Auch wenn auf EU-Ebene vieles in Bewegung ist: Die Entscheidung, ob Atomkraft oder nicht, bleibt auch künftig Sache jedes einzelnen Landes.

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