Eklat im Bundestag Ein „Misthaufen“ und ein Verfassungsschutzchef in Not

Berlin (dpa) - Gut 13 Minuten hat sich Martin Schulz angehört, wie Alexander Gauland Straftaten von Asylbewerbern und Flüchtlingen vorträgt und Angela Merkel vorhält, ihre Migrationspolitik gefährde den inneren Frieden im Land.

Eklat im Bundestag: Ein „Misthaufen“ und ein Verfassungsschutzchef in Not
Foto: dpa

Was dann passiert, ist in Ton und Inhalt ungewöhnlich in diesem Hohen Haus: Direkt nach Gauland bittet der SPD-Kanzlerkandidat von 2017 in der Generaldebatte des Bundestags über Merkels Kanzleramtsetat um das Wort. Voller Emotion versucht er, rhetorische Tricks des AfD-Fraktionschefs zu entlarven. Schulz erinnern Worte und Taktik Gaulands an düsterste Nazi-Zeiten.

Empört ruft der SPD-Mann Gauland zu, dieser bediene sich der „Mittel des Faschismus“. Die Reduzierung auf ein einziges Thema sei ein bekanntes Stilmittel. „Die Migranten sind an allem Schuld. Eine ähnliche Diktion hat es in diesem Hause schon einmal gegeben“, warnt Schulz, er meint den Nationalsozialismus. Es sei nun an der Zeit, „dass sich die Demokratie gegen diese Leute wehrt“.

Dann wird der Sozialdemokrat noch deutlicher. Schulz hat Gaulands Vergleich im Kopf, die Nazi-Zeit sei in der deutschen Geschichte nur ein „Vogelschiss“: „Herr Gauland, die Menge von Vogelschiss ist ein Misthaufen. Und auf den gehören Sie in der deutschen Geschichte.“ Erst bekommt Schulz von der Linken Applaus, am Ende stehen sie auch bei SPD und Grünen auf und klatschen.

Nach Schulz' Wutausbruch fällt auch der sonst so beherrschte Gauland kurz aus der Rolle und wird laut. Der Ex-CDU-Staatssekretär ruft dem SPD-Abgeordneten zu: „Das ist nicht mein Niveau, auf dem ich mich mit Ihnen auseinandersetze.“ Schulz versuche, die AfD „aus dem demokratischen Konsens auszugrenzen“ - dies werde nicht gelingen.

Dass Gauland so dünnhäutig ist, könnte damit zu tun haben, dass die Zahl der AfD-Mitglieder, für die sich die Verfassungsschutzbehörden der Länder interessieren, in den vergangenen Wochen zugenommen hat. In seiner Rede betont Gauland zwar selbstbewusst, die AfD habe nichts zu verbergen und deshalb auch keine Angst vor einer möglichen Beobachtung. Doch die Tatsache, dass AfD-Funktionäre in Chemnitz teilweise zur gleichen Zeit auf den Straßen unterwegs waren wie Rechtsextremisten, sehen auch Angehörige des bürgerlichen Spektrums seiner Partei mit Sorge.

Doch nicht nur Schulz knöpft sich die AfD vor - wie ein roter Faden zieht sich die Kritik an den Rechtspopulisten durch fast alle Reden. Später sind die verbalen Attacken des SPD-Politikers Johannes Kahrs für die AfD-Abgeordneten so unerträglich, dass sie geschlossen das Plenum verlassen.

Ein wichtiges Aufreger-Thema an diesem Mittwoch rückt da erstmal in den Hintergrund: Die Entscheidung über die berufliche Zukunft von Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen. Am Nachmittag wollte er in zwei Bundestags-Ausschüssen um sein Amt kämpfen.

Merkel und Seehofer, im Streit um Maaßens skeptische Äußerungen im Zusammenhang mit den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Chemnitz von Kritikern als Gegenspieler beschrieben, versuchen noch vor Beginn der Debatte, Normalität zu demonstrieren. Merkel begrüßt Seehofer, Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sowie ihren Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in gewohnt entspannter Manier.

Schon auffallender ist es da, dass SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles auf den großgewachsenen Seehofer zutritt, mit ihm scherzt - und dann minutenlang mit wie zum Gebet aneinander gelegten Händen auf den Innenminister einredet. Ob es wohl um Maaßen ging?

Aber nacheinander. Merkel, die gerade noch Gaulands Philippika ungerührt wie meist mit demonstrativer Arbeit an ihrem Redemanuskript begleitet, versucht mit klaren Worten die nach den Vorfällen von Chemnitz und Köthen aufgeladene Stimmung im Land zu beruhigen. Eindringlich warnt sie vor Ausgrenzung: „Juden und Muslime gehören genauso wie Christen und Atheisten zu unserer Gesellschaft.“

Sie verstehe ja, dass viele Menschen aufgewühlt seien durch mutmaßlich von Asylsuchenden begangene Straftaten, sagt Merkel. Es gebe aber „keine Entschuldigung und Begründung für Hetze, zum Teil Anwendung von Gewalt, Naziparolen, Anfeindungen von Menschen, die anders aussehen, die ein jüdisches Restaurant besitzen, für Angriffe auf Polizisten“.

Auch in der Rede der Kanzlerin spielt dann der Streit um den obersten Verfassungsschützer eine Rolle, zumindest indirekt. „Begriffliche Auseinandersetzungen, ob es jetzt Hetze oder Hetzjagd ist, helfen uns wirklich nicht weiter“, sagt sie. Dabei hatte sich der Jurist Maaßen gerade am Begriff „Hetzjagd“ abgearbeitet - und damit seinen in Sicherheitskreisen und bei Innenexperten in der Politik eigentlich guten fachlichen Ruf massiv aufs Spiel gesetzt.

Eine kleine Lektion in Realpolitik gibt Merkel dann Nahles, ohne sie beim Namen zu nennen. „Einfach zu behaupten, wir könnten wegsehen, wenn irgendwo Chemiewaffen eingesetzt werden und eine internationale Konvention nicht eingehalten wird, das kann auch nicht die Antwort sein“, sagt sie und meint die kategorische Absage der SPD-Chefin an ein mögliches Eingreifen der Bundeswehr in den Syrien-Krieg. „Von vornherein einfach Nein zu sagen, egal was auf der Welt passiert, das kann nicht die deutsche Haltung sein.“

Der Umgang mit der AfD, bekannte Forderungen je nach politischer Couleur - das sind die Schwerpunkte der Debatte um den Merkel-Etat von Seiten der FDP, SPD, Linksfraktion und der Grünen. Aber natürlich spielt immer wieder die Zukunft Maaßens eine wichtige Rolle.

Von Gauland hat der Verfassungsschützer gleich zu Beginn wohl ungewollte Rückendeckung bekommen. Was „über Herrn Maaßen ausgekübelt wird, lässt sich nur interpretieren als: Die oberste Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Teilnahme am „Kampf gegen rechts“.“ Dabei habe seine Partei gar nichts gegen eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz, wie sie derzeit besonders laut gefordert wird, sagt Gauland spitz: „Wir haben nichts zu verbergen.“

Ob sich der umstrittene Verfassungsschutzchef halten kann, oder ob Seehofer doch die Reißleine zieht, war zu diesem Zeitpunkt noch unklar. Bis auf die Unionsabgeordneten, war in Parlamentskreisen zu hören, dürften wohl die Vertreter aller anderen Fraktionen bei den Sitzungen am Nachmittag die Absetzung Maaßens fordern. Und selbst wenn er sich halten könnte - auch in der Union gibt es Stimmen, die in ihm nur noch einen Verfassungsschutzchef auf Abruf sehen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort