dpa-Interview: Der künftige ISS-Chef Alexander Gerst

Köln (dpa) - Der Astronaut Alexander Gerst wird Kommandant der Internationalen Raumstation ISS. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht er über seine neue Mission, seine nächtlichen Träume und darüber, was Außerirdische von Erdbewohnern halten würden.

dpa-Interview: Der künftige ISS-Chef Alexander Gerst
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Frage: Wie lange wissen Sie denn schon, dass Sie 2018 wieder ins All fliegen?

Antwort: Sicher ist meine Nominierung erst jetzt. Aber ich habe bereits im Februar eine Vorwarnung bekommen, dass es so kommen könnte. Da hieß es, um für den Fall der Fälle vorbereitet zu sein, solle ich schon mal mit dem Trainieren anfangen. Damit habe ich dann tatsächlich im März in Russland begonnen, obwohl es noch nicht komplett klar war.

Frage: Es war ja immer Ihr Traum, noch einmal ins All zu fliegen. Waren Sie erstaunt, dass es jetzt so schnell wieder klappt?

Antwort: Ja, ich war sehr erstaunt. Und dann auch noch als Kommandant der ISS und auf dem Copilotensitz der Sojus-Kapsel - das hätte ich nicht erwartet. Das ist eine tolle Sache für mich und ein großer Vertrauensbeweis unserer internationalen Partner USA und Russland für die ESA.

Frage: Von wann bis wann werden Sie auf der ISS sein?

Antwort: Voraussichtlich von Mai 2018 bis November 2018. Also fast genau die gleichen Daten wie bei meinem ersten Flug, nur vier Jahre später.

Frage: Drei Monate davon leiten Sie das ISS-Team. Ein Deutscher als Kommandant der Internationalen Raumstation - könnte das Probleme geben, zum Beispiel, wenn Sie russischen Kollegen Anweisungen geben müssen?

Antwort: Es gibt nur wenige Situationen, in denen man strikte Anweisungen geben muss. Wir sind Freunde an Bord und kennen uns seit Jahren. Und man geht natürlich auch sensibel um mit unterschiedlichen Kulturen, unterschiedlichen Sichtweisen. Schnelle Entscheidungen sind vom Kommandanten hauptsächlich in einem Notfall gefragt, wenn zum Beispiel ein Feuer ausbricht und die Zeit knapp ist. Solche Situationen werden deshalb oft auf der Erde geübt, ganz bewusst auch mit internationalen Mannschaften.

Frage: Und in normalen Zeiten, was ist da die Aufgabe des Kommandanten?

Antwort: Als Kommandant ist man quasi der Kapitän auf dem Schiff. Man achtet darauf, dass es der Crew gut geht, dass die Stimmung passt und koordiniert zwischen Crew und der Bodenkontrolle. Wenn Not am Mann ist, springt man ein und hilft den Kollegen, und man ist immer für die Crew da.

Frage: Haben Sie in der Vorbereitungszeit auch schon zusätzliche Aufgaben?

Antwort: Ich habe ja das Glück, dass es nicht mein erster Flug ist. Die technische Seite fällt mir jetzt sehr viel leichter, weil ich schon weiß, was auf uns zukommt. Deshalb kann ich mich nun mehr auf die logistisch-organisatorische Seite konzentrieren. Ich kann mich mit meiner Erfahrung in die Planung einbringen. Noch dazu fliege ich ja jetzt auf dem linken, dem Copilotensitz der Sojus-Kapsel zur ISS, und dafür muss ich genau lernen, wie man dieses Raumschiff steuert und fliegt. Damit werde ich jetzt fast das ganze restliche Jahr verbringen, bis Oktober bin ich fast konstant in Russland.

Frage: Vor Ihrem ersten Flug waren Sie sehr gespannt, wie Sie das denn nun tatsächlich erleben würden. Diesen Reiz des Neuen haben Sie dieses Mal nicht mehr.

Antwort: Ja, ich kenne zwar vieles schon, aber das ist auf der anderen Seite auch eine Chance. Denn wenn man so etwas Spannendes erlebt wie einen Start in den Weltraum, dann kann man gar nicht alles mental aufnehmen und speichern. Vieles habe ich beim ersten Mal ausgeblendet. Ich freue mich darauf, nun auch die Nuancen mitzubekommen und die dynamischen Momente der Mission noch intensiver zu erleben.

Frage: Nach Ihrer Rückkehr haben Sie gesagt, das Eindrucksvollste sei für Sie gewesen, dass man aus dem All keine Staatsgrenzen auf der Erde sieht. Kommen Ihnen die Konflikte auf der Welt seitdem noch absurder vor?

Antwort: Ja, das kann man schon so sagen. Es sieht absurd aus von da oben, dass Menschen sich bekriegen. Ich denke, rein hypothetisch, wenn es tatsächlich Leben außerhalb der Erde gibt und die hier vorbeikommen sollten, dann würden sie uns sicher beobachten, bevor sie mit uns Kontakt aufnehmen. Und wenn sie dann sehen, dass wir unsere Rohstoffe vergeuden und den Regenwald roden, der den Sauerstoff erzeugt, den wir atmen - würden sie uns dann wirklich für intelligent halten? Ich befürchte fast, sie würden lieber schnell weiterfliegen.

Frage: Man braucht also einen gewissen Abstand, um zu erkennen, was daheim wirklich wichtig ist?

Antwort: Ich kann mich daran erinnern, als ich zum ersten Mal auf Reisen gegangen bin, bin ich losgefahren mit der Ansicht, dass Deutschland eigentlich kein so schönes Land ist, was Natur angeht. Und erst dadurch, dass ich dann auch andere Länder gesehen habe, habe ich erkannt, wie schön unser eigenes Land ist und dass es hier genauso schöne Sonnenuntergänge gibt wie in Neuseeland oder in Mittelamerika. Und genau das haben wir im Weltraum gelernt. Wenn man einmal diesen Planeten verlässt, wird einem bewusst, wie wichtig er für uns ist und wie sehr wir ihn lieben. Wie sehr wir es zum Beispiel lieben, im Wald spazieren zu gehen, im Meer zu schwimmen oder ganz banal mit Freunden im Park zu grillen - Dinge, die nur auf diesem einen Planeten möglich sind.

Frage: Träumen Sie vom All, seit Sie dort gewesen sind?

Antwort: Eigentlich eher selten. Meistens träumt man ja von Situationen, die einen tagtäglich beschäftigen, und ich kann mich erinnern, dass ich, als ich auf der Raumstation war, auch davon geträumt habe. Das zeigt letztlich, wie sehr sich Menschen an den Weltraum anpassen können. Das ist mit all unserer Erfahrung mental und körperlich gar keine so große Herausforderung mehr wie es früher einmal war.

Frage: Da schließen Sie von sich auf andere...

Antwort: Nein, wirklich, nach zwei Wochen Schwerelosigkeit würden Sie und ich uns ganz normal im Schweben unterhalten, das käme uns gar nicht mehr besonders vor. Und auch nach einem halben Jahr hielten sich die Veränderungen in meinem Körper in Grenzen. Das ist für mich ein Zeichen dafür, dass wir noch viel weiter rausfliegen können, zum Mond und zum Mars. Wir müssen uns nur trauen.

ZUR PERSON: Alexander Gerst (40) hat in Karlsruhe Geophysik studiert und forschte an der Universität Hamburg. Auf den Beruf als Astronaut habe er nie gezielt hingearbeitet, sagt er. Die Bewerbung bei der Europäischen Raumfahrtagentur Esa sei „ein Versuch“ gewesen. Dort setzte sich der in Künzelsau in Baden-Württemberg geborene Gerst gegen mehr als 8400 Konkurrenten durch. Der Mann mit dem kahlgeschorenen Kopf war 2014 der elfte Deutsche im All und wird 2018 der erste deutsche Kommandant der Internationalen Raumstation ISS.

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