Doping-Affäre: Jan Ullrich schuldig

Lausanne/Berlin (dpa) - Die ganze Nation lag ihm einst zu Füßen, jetzt bestätigte das höchste internationale Sportgericht (CAS): Jan Ullrich war ein Doper.

Fünf Jahre nach seinem Rücktritt ist der ehemalige Radsport-Held vom CAS überführt worden, Blutdoping betrieben zu haben. Dem einzigen deutschen Tour-de-France-Sieger wurden am Donnerstag sämtliche Erfolge vom 1. Mai 2005 bis zu seinem Karriereende aberkannt. Zudem sperrte der Internationale Sportgerichtshof CAS den 38 Jahre alten Wahl-Schweizer für zwei Jahre bis 21. August 2013. Nach dem finalen Verdikt steht nun nur noch ein längst überfälliges Doping-Geständnis aus. Eine entsprechende „Erklärung“ kündigt Ullrich seit Monaten an.

Wie viele wartet Deutschlands höchster Sportfunktionär, DOSB-Präsident Thomas Bach, auf eine Beichte. „Es ist bedauerlich, dass Jan Ullrich nicht vorher die Chance ergriffen hat, von sich aus Klarheit zu schaffen“, sagte der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes. „Wir hoffen auch in seinem eigenen Interesse, dass er zumindest jetzt einsichtig ist und sich entsprechend erklärt.“

Der CAS begründete das Urteil mit den erwiesenen Verstrickungen Ullrichs in die Affäre um den mutmaßlichen spanischen Doping-Arzt Eufemiano Fuentes - die schon die Staatsanwaltschaft Bonn 2007 offengelegt hatte. Allein mit einer Zahlung von 250 000 Euro für gemeinnützige Zwecke hatte Ullrich damals einen drohenden Prozess verhindert. Für den Sportgerichtshof besteht kein Zweifel, dass der Olympiasieger spätestens vom 1. Mai 2005 an Kunde von Fuentes war.

Als Beweis wertete der CAS unter anderem die Zahlung von mehr als 80 000 Euro an den spanischen Mediziner, mit dem er nach Ansicht des Weltverbandes UCI sogar schon vor 2004 zusammengearbeitet hatte, wie es in der 24-seitigen Begründung des Urteils hieß. Sein ehemaliger, langjähriger Begleiter Rudy Pevenage, der die Verbindungen zu Fuentes hergestellt haben soll, wollte sich auf dpa-Anfrage nicht äußern.

Drei Tage nach dem drakonischen Urteil gegen Alberto Contador zeigte sich der CAS erneut unnachgiebig. Ullrich, der bereits im Februar 2007 seine professionelle Karriere beendet hatte, wurden alle Ergebnisse seit dem 1. Mai 2005 - darunter Rang drei bei der Tour de France 2005, Rang zwei im selben Jahr bei der Deutschland-Tour und den Gesamtsieg bei der Tour de Suisse 2006 - annulliert.

Außerdem muss Ullrich an den Gewinner des Verfahrens, den Weltverband UCI, 10 000 Schweizer Franken an Prozesskosten bezahlen. Das kann er wahrscheinlich mit einem Griff in die Portokasse erledigen - nach Schätzungen verdiente der gebürtige Rostocker während seiner schillernden Karriere mindestens 50 Millionen Euro.

Der Weltverband UCI hatte in der CAS-Anhörung zum Fall am 22. August 2011 eine lebenslange Sperre gefordert. Weil Ullrich aber nicht als Wiederholungstäter anzusehen ist - sein Ecstasy-Befund von 2002 ist in diesem Zusammenhang nicht relevant - beschränkte sich das Gericht auf eine Zwei-Jahres-Sperre. Der CAS zeigte sich überrascht, dass sich Ullrich in der Sache nicht gegen die Vorwürfe und Beweise wehrte. Die Dauer des Verfahrens habe auch damit zusammengehangen.

Anders als Contador fühlt sich Ullrich durch das Urteil vermutlich nicht ins Unglück gestürzt. Im Gegenteil: Der 38-Jährige wertete die Entscheidung im Vorfeld als überfällige Gelegenheit, einen Schlussstrich unter seine wechselvolle Profikarriere zu ziehen. Spätestens bis Freitag wollte sich Ullrich zum CAS-Spruch äußern. „Die Anwälte prüfen das Urteil“, sagte sein Manager Falk Nier.

An seiner persönlichen Vergangenheitsbewältigung konnte Ullrich mit Hilfe seiner Berater lange feilen - das Urteil war ähnlich wie im Fall Contador immer wieder verschoben worden. Das lag offenbar auch an dem Sportler selbst, der nie zu einer Anhörung beim CAS erschien.

Der altgediente Radprofi Jens Voigt vermutete, „die Sperre wird ihn nicht sehr bedrücken.“ Es sei „gut, dass jetzt ein Schlussstrich gezogen wurde. Es liegt jetzt an ihm, sich zu äußern und das zu sagen, worauf die Fans warten“, meinte der 40-Jährige. Auch Rolf Aldag, der als jahrelanger Helfer Ullrichs im Team Telekom selbst Doping gestanden hatte, wartet gespannt auf Ullrichs Ausführungen: „Das CAS-Urteil war ja nicht so spannend. Viel interessanter wird, wie sich Jan dazu äußert. Er wird wissen, was er sagen kann.“

Swiss Cycling hatte als früherer Lizenzgeber des gestürzten Superstars 2010 die Ermittlungen gegen Ullrich vor dem Hintergrund der Doping-Affäre Fuentes eingestellt mit dem Hinweis auf „fehlende Disziplinargewalt“. Gegen die Entscheidung hatte die UCI geklagt.

Jetzt ist Ullrich gefordert. Nachdem er 2010 an Burnout erkrankt war, hatte er sich im Vorjahr vorsichtig zurück in die Öffentlichkeit getastet. Zuletzt wagte er sich beim Ball des Sports in Wiesbaden auch wieder auf das große Parkett. Einen Tag vor dem Urteil wirkte der dreifache Familienvater auf einem PR-Termin in Bielefeld bei seinem neuen Werbepartner Alpecin („Doping für die Haare“) sogar so gelöst und locker, wie man ihn aus aktiven Zeiten nicht kannte. Eine Beichte wäre jetzt der einzige Schritt zur kompletten Rehabilitierung.

Ungeachtet der ausstehenden Erklärung bleibt Ullrich für ehemalige Teamkollegen ein Sympathieträger. „Für mich ist und bleibt er der sympathischste Sportler“, twitterte am Donnerstag Marcus Burghardt. Patrick Sinkewitz, der selbst in einem schwebenden Dopingverfahren bei der Nationalen Anti-Doping-Agentur NADA steckt, sagte bei „Eurosport“: „Ich wünsche Jan Ullrich alles Gute für seine Zukunft und drücke ihm ganz fest die Daumen, dass er alles umsetzt, was er sich vorgenommen hat.“ Erik Zabel, neben Ullrich im Telekom-Team die Galionsfigur, äußerte sich auf Anfrage nicht.

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