Dokumentation: Obamas Trauerrede für Nelson Mandela

Johannesburg/Berlin (dpa) - US-Präsident Barack Obama hat die historische Bedeutung Nelson Mandelas gewürdigt. dpa dokumentiert seine Rede auf der Trauerfeier für Mandela in einer eigenen Übersetzung in Auszügen.

„An Graca Machel und die Familie Mandela (...) Es ist eine einzigartige Ehre, hier heute bei Euch zu sein, um ein Leben zu feiern, das wie kein Anderes war. An die Menschen Südafrikas - Menschen jeder Hautfarbe und aus jeder Gesellschaftsschicht - die Welt dankt Euch dafür, dass Ihr Nelson Mandela mit uns geteilt habt. Sein Kampf war Euer Kampf. Sein Triumph war Euer Triumph. Eure Würde und Hoffnung fand ihren Ausdruck in seinem Leben, und Eure Freiheit und Demokratie sind sein geschätztes Erbe.

Es ist schwierig, eine Lobrede auf einen Menschen zu halten (...) Wie viel schwieriger ist es, dies für einen Giganten der Geschichte zu tun, der eine Nation der Gerechtigkeit näher brachte und dabei Milliarden von Menschen auf der ganzen Welt bewegte.

Während des Ersten Weltkrieges wurde er fern der Machtzentren geboren, ein Junge der Vieh hütete und von den Ältesten seines Thembu-Stammes erzogen wurde - doch sollte Madiba zum letzten großen Befreier des 20. Jahrhunderts werden. Wie Gandhi führte er eine Widerstandsbewegung an - eine Bewegung, die am Beginn kaum Aussicht auf Erfolg hatte. Wie (Martin Luther) King verlieh er den Forderungen der Unterdrückten und der moralischen Pflicht zur Gerechtigkeit zwischen Schwarz und Weiß eine kraftvolle Stimme. Er erduldete eine grausame Inhaftierung, die in der Zeit von Kennedy und Chruschtschow begann und in den letzten Tagen des Kalten Krieges endete. Als er ohne Einsatz von Gewalt aus dem Gefängnis kam, hielt er - wie Lincoln - sein Land zusammen, als es drohte, auseinanderzubrechen.(...)

Aufgrund der außergewöhnlichen Dimension seines Lebens und der Bewunderung, die er völlig zu Recht verdient, ist es verlockend, sich an Nelson Mandela als Ikone zu erinnern, lächelnd und gleichmütig, weit entfernt von den armseligen Angelegenheiten von Menschen mit geringerer Größe. Doch Madiba selbst stemmte sich gegen ein solches Bild. Stattdessen bestand er darauf, mit uns seine Zweifel und Ängste zu teilen, seine Fehler genauso wie seine Siege. "Ich bin kein Heiliger", sagte er, "außer Ihr seht in einem Heiligen einen Sünder, der es immer wieder versucht".

Eben weil er seine Unzulänglichkeiten zugeben konnte - weil er erfüllt war von Humor, sogar schelmenhaft, trotz der schweren Last, die er trug - deswegen liebten wir ihn so. Er war keine Marmorbüste, er war ein Mann von Fleisch und Blut - ein Sohn und Ehemann, ein Vater und Freund. Deswegen haben wir so viel von ihm gelernt, deswegen lernen wir immer noch von ihm. Denn nichts, was er erreicht hat, war vorgegeben. Wenn wir sein Leben betrachten, sehen wir einen Mann, der seinen Platz in der Geschichte durch Kampf und Cleverness erreicht hat, durch Ausdauer und Glauben. Er zeigt uns, was möglich ist - nicht nur in verstaubten Geschichtsbüchern, sondern auch in unserem eigenen Leben. Mandela zeigte uns, was Taten erreichen können und Risiken für unsere Ideale einzugehen. (...)

Darüber hinaus akzeptierte er die Konsequenzen seiner Handlungen, er wusste, dass es einen Preis hat, mächtigen Interessen und der Ungerechtigkeit die Stirn zu bieten.(...)

Mandela lehrte uns die Macht des Handelns, aber auch die Gedanken, wie wichtig Vernunft und Argumente sind, er lehrte uns die Notwendigkeit, nicht nur jene zu studieren, denen man zustimmt, sondern auch diejenigen, die man ablehnt. Er verstand, dass Ideen nicht von Gefängnismauern eingesperrt oder von der Kugel eines Scharfschützen ausgelöscht werden können.(...) Er lernte die Sprache und die Gebräuche seiner Unterdrücker, damit er ihnen eines Tages besser verständlich machen konnte, dass ihre eigene Freiheit von seiner abhängt.

Mandela zeigte, dass Taten und Ideen nicht genug sind; egal wie richtig sie sind, sie müssen in Gesetze und Institutionen eingemeißelt werden. Er war ein praktischer Mensch, er testete seine Überzeugungen an der harten Oberfläche der Realität und Geschichte. Bei grundlegenden Prinzipien war er unnachgiebig(...) aber er hatte keine Angst davor, für ein größeres Ziel Kompromisse einzugehen. (...)

Ubuntu - ein südafrikanisches Wort - beschreibt seine größte Begabung: Er erkannte, dass wir alle auf eine Art verbunden sein können, die dem Auge verborgen bleibt; dass es eine Einheit der Menschheit gibt.(...) Es brauchte einen Mann wie Madiba, um nicht nur den Gefangenen zu befreien, sondern auch den Gefängniswärter. Um zu zeigen, dass wir anderen vertrauen müssen, damit sie uns vertrauen. Zu lehren, dass Versöhnung nicht bedeutet, eine grausame Vergangenheit zu ignorieren, sondern sie einzubeziehen und ihr mit Großzügigkeit und Wahrheit gegenüberzutreten. Er änderte Gesetze, aber auch Herzen.

Für die Menschen in Südafrika und für diejenigen auf der ganzen Welt, die er inspirierte, ist Madibas Tod zu Recht eine Zeit der Trauer und eine Zeit, sein heldenhaftes Leben zu feiern. Aber ich glaube, sie sollte auch jeden von uns zur Selbstreflexion anregen. Wir müssen uns ehrlich fragen, - egal, was unsere Position oder unsere Lebensumstände sind - wie gut habe ich seine Lektionen in meinem Leben angewandt? Ich frage mich dies selbst, als Mensch und als Präsident.(...)

Auch wir müssen für die Gerechtigkeit handeln. Auch wir müssen für den Frieden handeln. Es gibt zu viele von uns, die Madibas Erbe von der Versöhnung der Ethnien gerne annehmen, aber sich mit aller Kraft sogar gegen kleine Reformen gegen Armut und wachsende Ungleichheit stemmen. Es gibt zu viele Anführer, die behaupten, solidarisch mit Madibas Freiheitskampf zu sein, aber von ihrem eigenen Volk keinen Widerspruch dulden.(...)

Nelson Mandela erinnert uns daran, dass Dinge immer unmöglich scheinen, bis sie getan werden.(...)

Jemanden wie Nelson Mandela wird es nie wieder geben. Aber ich will den jungen Menschen in Südafrika und auf der ganzen Welt etwas sagen: Ihr könnt sein Leben zu Eurem machen. Vor mehr als 30 Jahren, als ich noch Student war, habe ich von Mandela und den Mühen in diesem Land gehört. Es hat etwas in mir geweckt. Es hat mir meine Verantwortung bewusst gemacht - gegenüber anderen und mir selbst - und hat mich auf diese unwahrscheinliche Reise geführt, wegen der ich heute hier bin. Und obwohl ich Madibas Vorbild nie gerecht werden kann, will ich ein besserer Mensch sein. Er spricht zu den Dingen in uns, die am Besten sind. (...)

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