Hintergrund : Die Folgen des Weinstein-Skandals in Europa
London (dpa) - Die Vorwürfe der sexuellen Belästigung gegen den US-amerikanischen Filmmogul Harvey Weinstein haben international ein Schlaglicht auf Sexismus geworfen. Ein Überblick.
GROSSBRITANNIEN: Das britische Parlament erschüttert mittlerweile ein eigener Skandal: Verteidigungsminister Michael Fallon ist wegen sexueller Belästigung einer Journalistin zurückgetreten. Er hatte der Frau bei einem Dinner vor 15 Jahren wiederholt ans Knie gefasst. Medien spekulierten, dass wegen einer kursierenden Geheimliste mit Verfehlungen von Politikern möglicherweise noch weitere Amtsträger ihren Hut nehmen müssen. Mehreren Regierungsmitgliedern wird „unangemessenes Verhalten“ vorgeworfen. So soll ein Staatssekretär seine Assistentin damit beauftragt haben, Sex-Spielzeug zu kaufen. Auch darüber hinaus hat der Fall Weinstein ein riesiges Echo: So nimmt Scotland Yard den Filmproduzenten unter die Lupe, nachdem sieben Frauen ihm sexuelle Übergriffe vorgeworfen hatten.
Die britischen Medien untermauerten mit Umfragen, wie verbreitet sexuelle Belästigung auch im eigenen Land ist. In einer Befragung von 1009 Personen im Auftrag des Fernsehsenders Sky News gab jede zweite Frau und etwa jeder fünfte Mann an, bereits sexuell belästigt worden zu sein. In Großbritannien berichten Frauen auf Twitter auch mit dem Hashtag „#ItsRevolting“ von Erlebnissen. Nach einem „Sunday Times“-Bericht über Sexismus-Vorwürfe kündigte der Verlag Condé Nast zudem die Zusammenarbeit mit US-Modefotograf Terry Richardson.
RUSSLAND: In Russland wird der Fall Weinstein eher als Beispiel übertriebener politischer Korrektheit in den USA abgehandelt. Deshalb stellten sich auch befragte Frauen oft auf die Seite des Produzenten. „Wenn du eine Rolle hast, ist doch egal, wie du sie bekommen hast“, sagte die Schauspielerin Ljubow Tolkalina dem Portal „Meduza.io“. Die russische Gesellschaft sei noch nicht bereit, sexuelle Übergriffe als einhellig schlecht zu verurteilen, sagte der Filmregisseur Roman Wolobujew in der gleichen Umfrage. Die Kampagne „#MeToo“ stieß in Russland auf weniger Resonanz als anderswo. Staat und orthodoxe Kirche propagieren ein sehr traditionelles Frauen- und Familienbild. So sind die Strafen für häusliche Gewalt wieder gelockert worden.
ITALIEN: Die italienische Schauspielerin und Regisseurin Asia Argento ist eine der Frauen, die von Weinstein sexuell missbraucht worden sein soll. Gewalt gegen Frauen produziert in Italien aber ohnehin immer neue traurige Schlagzeilen, oft geht es um den „Femminicidio“ - den Mord an Frauen durch ihre Ex-Freunde, Ehemänner oder Geliebten. Allein im Jahr 2016 wurden dem Innenministerium zufolge 149 Frauen Opfer vorsätzlicher Tötung, 59 davon wurden von ihren Partnern, 17 von ihren Ex-Partnern ermordet. In den vergangenen Monaten häuften sich auch Berichte über Missbrauchsfälle - Carabinieri wurden der Vergewaltigung zweier Touristinnen aus den USA bezichtigt. Bei der Polizei gingen in den ersten sieben Monaten des Jahres mehr als 6000 Anzeigen wegen Stalkings ein, die meist von Frauen erstattet wurden.
Auf die vielen Missbrauchsvorwürfe reagierten in Italien auch Politikerinnen wie Parlamentspräsidentin Laura Boldrini, die die Frauen dazu aufrief, sich zusammenzutun, um für ihre Rechte zu kämpfen. Frauenrechtsaktivistinnen wie Nadia Somma beklagen derweil, dass die Fälle abgetan werden: „Das hätte eine Gelegenheit sein können, um über die Beziehungen zwischen Männern und Frauen und der Ungleichbehandlung, die diese durchzieht, zu sprechen. (...) Stattdessen hat sich die Auseinandersetzung abgeflacht und ist zu einer Plauderei an der Bar geworden.“