DFB-Team will jetzt auch ins Finale

Évian-les-Bains (dpa) - Der Dreifach-Schock riss Joachim Löw und seine Italienfluch-Besieger jäh aus dem Stimmungshoch. Für Mario Gomez ist das EM-Turnier beendet.

DFB-Team will jetzt auch ins Finale
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Auch Kapitän Bastian Schweinsteiger und Sami Khedira kann der Bundestrainer wegen neuer Verletzungen nicht mehr für den Kampf um den so nah gerückten Europameistertitel in Frankreich einplanen.

„Es ist sehr bitter, wenn in der entscheidenden Phase des Turniers wichtige Spieler ausfallen“, erklärte Löw nach den deprimierenden Diagnosen am Tag nach dem Elfmeterdrama mit Happy-End in Bordeaux. Der erste Turniererfolg einer deutschen Fußball-Nationalmannschaft gegen Angstgegner Italien forderte einen extrem hohen Preis - der Freudenrausch verflog.

Der zweifache Turniertorschütze Gomez erlitt beim umjubelten 6:5 im Elfmeterschießen, das sich an ein packendes 1:1 nach 120 Minuten anschloss, einen Muskelfaserriss im rechten Oberschenkel. Schweinsteiger zog sich bei einem Schlag auf die Innenseite seines in diesem Jahr schon zweimal verletzten rechten Knies diesmal eine Außenbandzerrung zu. Und beim im Viertelfinalduell früh verletzten Khedira wurde bei den Untersuchungen im Krankenhaus in Annécy eine Adduktorenblessur im linken Oberschenkel festgestellt. Bei Schweinsteiger und Khedira verbreitete der DFB aber noch eine Resthoffnung für einen weiteren Turniereinsatz.

„Besonders für Mario tut es mir leid. Er hat bei der EM starke Leistungen gezeigt und der Mannschaft nicht nur mit seinen Toren sehr geholfen“, äußerte Löw in einer Verbandsmitteilung. Der Bundestrainer richtete den Blick trotzdem kämpferisch nach vorne: „Für uns heißt das, dass wir die neue Situation annehmen und Lösungen finden müssen. Und das werden wir.“ Die Qualität des Kaders sei hoch. „Ich habe volles Vertrauen in alle Spieler - wir werden am Donnerstag bereit sein und freuen uns auf das Halbfinale in Marseille“, sagte er.

Die Euphorie in der Heimat bleibt, aber im DFB-Quartier in Évian herrscht plötzlich Notstand. Schon in der Nacht nach dem Blutdruck steigernden Elfmeterkrimi mit der Rekordzahl von 18 Schützen gab es keine Party, sondern einen Schwur. „Wenn man im Halbfinale steht, will man auch ins Endspiel nach Paris“, sagte Teufelskerl Manuel Neuer, neben dem allerletzten Schützen Jonas Hector der Held des Abends am Atlantik.

„Was die Mannschaft geleistet hat, ist eines Champions würdig“, sagte Khedira, der da schon ahnte, dass er kaum noch helfen kann. Im Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich oder Island fällt zudem Abwehrspieler Mats Hummels als weiterer Leistungsträger wegen einer ärgerlichen Gelb-Sperre aus. Ohne Vier - das wird verdammt schwer!

Es war kein Jahrhundertspiel gegen Italien, aber ein unglaubliches Elfmeterschießen. Fesselnd, dramatisch, ein ständiges Auf und Ab mit persönlichen Dramen und Glücksmomenten. Und dem Happy-End für das Team, das das Spiel bis zur Elfmeter-Lotterie dominiert hatte. „Wir haben Italien am Ende ein bisschen glücklich niedergerungen, aber wir waren die überlegene Mannschaft“, sagte Löw. „Nach so vielen Jahren sind wir auch mal dran gewesen gegen die Italiener“, sagte DFB-Präsident Reinhard Grindel überglücklich.

„Solche Schlachten“ hinterlassen Spuren, ahnte Löw schon vor der Rückkehr an den Genfer See im Morgengrauen des Sonntags. „Das Spiel steckt in den Körpern. Wir müssen jetzt schauen, dass unsere Spieler gut regenerieren“, sagte der Chefcoach mit Blick auf das gesunde Personal. Immerhin könnte Hummels nach seiner Gelb-Sperre im Endspiel am Sonntag wieder aktiv eingreifen.

„Dieses Spiel kann noch einmal einen Schub geben“, hob Matchwinner Hector trotz der personellen Sorgen hervor. „Ich habe das Herz in die Hand genommen“, sagte der Kölner über sein Heldenstück mit erhöhtem Pulsschlag gegen Torwart-Legende Gianluigi Buffon. „Wir waren über 120 Minuten die bessere Mannschaft“, urteilte Hector, „und dann haben wir mit ein bisschen Dusel gewonnen.“

Normal an diesem Elfmeterschießen in 18 Akten war nur, dass Neuer, der „Riesengigant“, wie Teammanager Oliver Bierhoff schwärmte, zwei Schüsse von Leonardo Bonucci und Matteo Darmian hielt. „Wir haben ganz Fußball-Deutschland ein bisschen zittern lassen“, untertrieb der bärenstark verteidigende Schalker Benedikt Höwedes.

„So was habe ich noch nicht erlebt“, sagte Neuer, der beim Jubel vor der deutschen Fankurve im Muskelshirt immer wieder seine mächtigen Oberarme in die Höhe reckte: „Das war ein wirkliches Drama.“ Den erfahrenen Weltmeistern Müller, Mesut Özil und Schweinsteiger versagten die Nerven, die unerfahrenen Turnierdebütanten Hector und Joshua Kimmich behielten sie und trafen. „Es war ein Nervenkrieg“, stöhnte Neuer geschafft. In der regulären Spielzeit hatte ihn Bonucci noch mit einem Handelfmeter bezwungen (78. Minute), nachdem Mesut Özil Deutschland zuvor verdient in Führung geschossen hatte (65.).

Elfmeterschießen bleibt eine deutsche Spezialdisziplin, auch wenn diese beim sechsten Erfolg im siebten Turnier-Shootout deutsch-untypisch verlaufen war. „Wir haben es nach 90 Minuten nicht geschafft, Italien zu bezwingen. Wir haben es nach 120 Minuten nicht geschafft. Dann hat einfach dieses Elfmeterschießen - so wie es abgelaufen ist - zu dem Duell Italien gegen Deutschland gepasst“, resümierte Neuer.

Löw war nicht nur mit der frühen Einwechslung von Schweinsteiger für Khedira ein Wagnis eingegangen, sondern auch mit dem Systemwechsel zur Dreierkette, die ihre Turnierpremiere feierte. Für den Bundestrainer war die Veränderung „dringend notwendig“, weil Italien mit zwei hohen Außen und zwei zentralen Stürmern agiert. „Vier gegen vier zu spielen, ist gegen sie gefährlich. Deswegen mussten wir das Zentrum zumachen“, begründete Löw. Jetzt wird er zaubern müssen.

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