Ehe für alle Der große Wunsch nach Gleichbehandlung

Lünen/Bremen (dpa) - Die Merkel ist umgeschwenkt. Als Marisa Meyer (36) das hörte, bekam sie Gänsehaut. „Echt jetzt - überall!“ Sie deutet auf ihre Arme. „Ich hab' gedacht, das geht jetzt in die Geschichte ein.

Ehe für alle: Der große Wunsch nach Gleichbehandlung
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Und wir mit dazu.“

Marisa und ihre Partnerin Marina Wolf (31) wollen das erste lesbische Ehepaar Deutschlands werden. Den entsprechenden Hochzeitsantrag hat Marisa schon vor zwei Jahren bekommen. Es war beim allmonatlichen Gothic-Abend in ihrer Heimatstadt Lünen im Ruhrgebiet. Als sie reinkam, ahnte sie schon was.

Auf der Tanzfläche hatten sich ihre Freunde in Herzform versammelt, alles war rot beleuchtet. Marina trug einen Anzug. Sie wollte ein Gedicht vorlesen, aber ihre Stimme versagte, sie konnte nur noch krächzen: „Willst du meine Frau werden?“ Klar wollte sie. Die Frage war nur: Konnte sie auch?

Natürlich gibt es die eingetragene Lebenspartnerschaft. Aber Marisa hatte da mal ein Schlüsselerlebnis beim CSD (Christopher Street Day) in Köln. Einer der Redner rief: „Wer von euch ist verheiratet?“ Viele Finger gingen hoch. Aber der Mann widersprach: „Keiner von euch ist verheiratet! Ihr seid bloß eingetragen!“ Damals dachte sie: „Er hat recht.“

Marina und Marisa wollen zum Beispiel ein Kind. „Aber für die künstliche Befruchtung müssen wir ganz viele Anträge stellen, die ein Hetero-Paar nicht machen müsste.“ Von solchen Dingen mal abgesehen: „Es ist etwas anderes, wenn man geheiratet hat“, meint Marisa. „Daran kann keiner mehr rütteln.“

„Wir sind verheiratet“, sagen Tina und Saskia S. aus Bremen, wenn sie nach ihrer Beziehung gefragt werden. Rein rechtlich sind die beiden aber keine Eheleute, sondern eine eingetragene Lebenspartnerschaft. „Ich verstehe nicht, warum der Staat zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft unterscheidet“, sagt die 38-jährige Juristin, die mit ihrer Partnerin seit rund zehn Jahren zusammen ist. Das Paar trägt den gleichen Nachnamen und hat drei kleine Kinder.

Dass der Bundestag noch an diesem Freitag über die Ehe für alle entscheiden wird, freut das lesbische Paar. „Ich glaube, das hat eine große gesellschaftliche Dimension“, sagt die 36-jährige Tina S., die für ihren fünf Monate alten Sohn gerade eine Auszeit von ihrem Job als Geschäftsführerin eines Forschungsinstituts nimmt.

Als eingetragene Lebenspartnerschaft sind die beiden Frauen Eheleuten in vielen Bereichen gleichgestellt. Als Eltern von drei Kindern müssen sie aber einige Hürden mehr überwinden als heterosexuelle Eltern, denn das deutsche Recht unterscheidet deutlich zwischen den Familienformen. Wenn ein Ehepaar mit Hilfe einer Samenspende ein Kind bekommt, ist der Ehemann automatisch zum Zeitpunkt der Geburt der rechtliche Vater. Wenn ein Mütterpaar in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft auf diesem Weg ein Baby bekommt, wird die soziale Mutter, die das Kind nicht zur Welt bringt, erst über den langen Weg einer Stiefkindadoption auch rechtliche Mutter des gemeinsamen Wunschkindes.

Das Adoptionsverfahren haben auch Saskia und Tina S. durchlaufen. „Wir mussten dem Jugendamt unseren Lebenslauf schicken, Mitarbeiter schauten sich unsere Wohnung an, fragten nach unseren Finanzen.“ Eineinhalb Jahre dauerte es, bis Tina S. in der Geburtsurkunde der heute fast vierjährigen Zwillinge stand. Bei ihrem Baby haben sie diesen Weg noch vor sich. „Es gibt immer noch eine rechtliche Ungleichbehandlung zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern und heterosexuellen Paaren mit Kindern“, sagt Elke Jansen vom Lesben- und Schwulenverband in Deutschland und nennt einen weiteren Unterschied: „Gleichgeschlechtliche Paare haben kein gemeinsames Adoptionsrecht.“

Marina und Marisa aus Nordrhein-Westfalen wollen, wenn irgendwie möglich, die Bundestagsabstimmung am Freitag im Fernsehen verfolgen. Wenn die Sache im Bundestag durch ist, wollen sie sich sofort um den frühestmöglichen Termin auf dem Standesamt bemühen. Groß was organisieren müssen sie nicht, sie sind spontane Typen, sagen sie. Riesig viel kosten darf die Hochzeit auch nicht: Marina schmeißt den Haushalt, Marisa betreut Behinderte und Kranke. Die Freundschaftketten, die sie beide tragen, hat ihnen eine MS-Patientin geschenkt.

Schon oft haben sie sich ausgemalt, wie der große Tag ablaufen wird. All ihre Freunde werden dabei sein. Und natürlich Marisas drei Kinder aus erster Ehe, die in ihrer kleinen Etagenwohnung mit ihr und Marina zusammenleben. Zwei Söhne, 19 und 15, und eine Tochter von 12 Jahren - sie will unbedingt das Blumenmädchen sein. Auch mit ihrem Ex-Mann rechnet Marisa ganz fest: „Wir sind eng befreundet und gehen dieses Jahr sogar zusammen zum CSD.“

Sie wissen auch schon, wie sie aussehen werden. Marisa will ein Vokuhila-Kleid tragen - vorne kurz, hinten lang. Ein bisschen sexy, in Rot oder Lila. „Und ich im Anzug“, sagt Marina. „Ich bin eben der maskuline Typ. Frauenkleider stehen mir nicht.“

Dann werden sie Ja zueinander sagen und sich einen Kuss geben. „Es wird ein tränenreicher Tag sein“, weiß Marisa schon jetzt. Sie schluckt kurz. Dann strahlt sie. „Ein ganz toller Tag wird es sein.“

Bundesweit gibt es nach Schätzungen des Statistischen Bundesamtes bis zu 225 000 gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Nach den Statistikzahlen, die auf freiwilligen Auskünften beruhen, waren es 2015 rund 94 000 Paare, davon 43 000 eingetragene Lebenspartnerschaften.

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