Droht die Spaltung? Der G-Null-Gipfel: Wie Trump den Westen demontiert

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) will sich nach dem enttäuschenden G7-Gipfel nicht mehr auf die USA als Partner verlassen. "Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt", sagte Merkel am Sonntag in einer Bierzeltrede in München-Trudering. "Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen."

Droht die Spaltung?: Der G-Null-Gipfel: Wie Trump den Westen demontiert
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Taormina (dpa) - „Großartig!“ Das ist einer der Lieblingsbegriffe des neuen US-Präsidenten. Nun gilt der Wortschatz von Donald Trump gemeinhin als begrenzt und insofern bleiben nicht viele Alternativen.

„Fantastisch“ oder „traumhaft“ hätte der US-Präsident in seiner Rede vor Soldaten am Samstagabend auf dem US-Militärstützpunkt Sigonella auf Sizilien vielleicht auch noch sagen können.

Das Bemerkenswerte an Trumps Feststellung, der G7-Gipfel sei ein „großartig produktives Treffen“ mit „großartigen Leuten“ und „großartigen Fortschritten“ gewesen, ist, dass es wie Realsatire wirkt. Denn das zweitägige Treffen im Ferienort Taormina hat die Verbündeten eher gespalten als zusammengeschweißt. Fortschritt Fehlanzeige. Intern wird abfällig über den neuen Mann im Weißen Haus geredet, öffentlich wird er wegen seiner Distanz zum Klimaschutz isoliert. Dies tadelt Kanzlerin Angela Merkel als „sehr unzufriedenstellend“.

Nach ihrer Rückkehr nach Deutschland macht sie deutlich, wie ernst sie die Lage einschätzt: „Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei, das habe ich in den letzten Tagen erlebt“, sagt Merkel am Sonntag in München. „Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen.“

„Obsolet“ ist noch so ein Wort, das Trump gern benutzt. So hatte er die Nato unlängst genannt, hielt sie dann doch nicht für überholt, trieb mit seinem kraftmeierischen Auftritt in Brüssel aber einen Keil zwischen sich und die Partner. Die über Jahrzehnte gewachsene, wahrlich nicht kritikfreie, aber solidarische Militärallianz erlebt so etwas wie einen Angriff aus dem Inneren, aber sie wird weiter kämpfen. Denn ihre Einsätze, samt dem 2001 bisher einmalig ausgerufenen Bündnisfall für das attackierte Amerika, sind real. Anders ist es beim G7-Gipfel. Dieses zweite große Gesprächsforum des Westens erscheint nach der inhaltsarmen Sitzung auf Sizilien zunächst einmal genau so: obsolet.

Zwei Gipfel, zwei Premieren mit Trump und der westlichen Wertegemeinschaft droht die Spaltung. Nachdem aus der G8 die G7 ohne Russland wurde, droht jetzt G0. Denn wenn es „Sechs gegen Einen“ steht, wie Diplomaten am Rande des Gipfels über das Ringen des dürren, sechsseitigen Abschlussdokuments sagten, stellt sich die Sinnfrage. Vor allem, wenn die „Einen“ die Vereinigten Staaten von Amerika sind. Trump selbst kümmere das nicht, heißt es später aus Teilnehmerkreisen. Er sei nicht wertegebunden wie sein Vorgänger Barack Obama, dafür aber sehr viel egoistischer.

Trump orientiert sich beim zweitägigen G7-Treffen ohne Rücksicht auf Verluste an amerikanischen Interessen. Der Kampf gegen den Terror ist auch hier sein Hauptthema. Dazu gibt es die einzige separate Gipfel-Erklärung. Das Anliegen der italienischen Gastgeber, auch zur Flüchtlingskrise klar und ausführlich Stellung zu beziehen, torpediert der US-Präsident dagegen. Trump erklärt sich nur mit zwei Absätzen unter der stark verklärenden Überschrift „Menschliche Mobilität“ in der Abschlusserklärung einverstanden.

Für die Flüchtlinge ist das bitter. Und zu leiden haben darunter auch Staaten wie Italien und Griechenland, die mit dem Elend und den Todesdramen vieler Menschen konfrontiert sind, die über das Mittelmeer flüchten. Beim Klimaschutz kann die G7 nur den Dissens feststellen. Möglicherweise steigen die USA aus dem mühsam verhandelten Abkommen von Paris aus. Trump verkündet nach dem Gipfel auf Twitter, er werde nächste Woche seine Entscheidung bekannt geben.

Wie frustrierend muss es sein, wenn man nach vielen Jahren endlich ein Abkommen hat, das alle Nationen unterschreiben. Und dann will der wichtigste Vertragspartner und zweitgrößte Klimasünder nicht mehr mitmachen und man fängt mit den Erklärungen von vorne an. Immerhin, Trump habe den Argumenten den anderen sechs zugehört, berichten Teilnehmer. Ihre vergiftete Anerkennung: Trump ist durchaus auch interessiert. Steigt er aus dem Abkommen aus, wird Merkel zu einzelnen US-Staaten Drähte glühen lassen, die in dem Abkommen bleiben möchte. „Mit dem Dissens kann ich leben“, hat sie schon in anderen Fällen gesagt. Sie zieht das durch.

Trotz der Appelle von Hilfsorganisationen machen die sieben reichen Industrienationen auch keine konkreten neuen Finanzzusagen für den Kampf gegen den Hunger in Afrika. Sie zeigen sich nur „tief besorgt“ über die Ernährungskrisen. Davon wird niemand satt. Marwin Meier von World Vision sagt es so: „Diese zwei Tage haben viele Kinder (...) nicht überlebt.“

Wenn ein internationales Gremium so wenig Neues, Weitergehendes, Klärendes bei einem solchen Treffen zustande bringt, erscheint der Aufwand zu groß. Die Enttäuschungen sind es auch. Zu gigantisch sind dann die nötigen Summen und Sicherheitsmaßnahmen für die Staats- und Regierungschefs der USA, von Kanada, Japan, Italien, Großbritannien, Frankreich und Deutschland, die immer irgendwo an einem malerischen Ort abgeriegelt tagen - damit es wenigstens schöne Fotos gibt.

Um mal miteinander zu reden - das ist seit Jahren das Hauptargument der Veranstalter für solche Gipfel - kann man es auch so eintüten wie Kanzlerin Angela Merkel, als Trumps Vorgänger Barack Obama im vorigen Jahr zwei Mal nach Deutschland kam. Sie hat einfach ihre Kollegen in Großbritannien, Italien, Frankreich und Spanien - angerufen und gefragt, ob sie dazu kommen wollen. Sie flogen ohne Delegationen ein, sprachen vertraulich und flogen wieder ab. Das geht auch.

Ob das allerdings auch künftig so selbstverständlich mit London sein wird, darf bezweifelt werden. Denn Großbritannien tritt aus der Europäischen Union aus. Vertrauen geht verloren. Die USA erscheinen nicht mehr als Anker. Der Westen bröckelt. Für Putin, der jede Unruhe in Nato und EU auskostet, kann es nicht besser laufen. Er, der 2014 nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim aus dem exklusiven G8-Club verbannt wurde, ist jetzt der einzige Gewinner der Gipfel. Gerne philosophiert er über das „postwestliche Zeitalter“. Die Gipfel der Nato und G7 dürfte er als Bestätigung seiner These verstehen.

Wieviel ist die westliche Wertegemeinschaft also noch wert? Die nächste Bewährungsprobe folgt in sechs Wochen. Dann findet der G20-Gipfel unter deutscher Ratspräsidentschaft in Hamburg statt. Da kommen sie dann alle zusammen: Trump, Putin, die EU, China, Brasilien und die anderen. Merkel könnte es darauf anlegen, die schönen Fotos vor Hafenkulisse oder Elbphilharmonie mit echten Ergebnissen zu unterfüttern. Dafür oder dagegen. Ja oder Nein. Kein Hü und Hott.

Dass die G7 sich dem Kampf gegen den Protektionismus verschrieben, wertet Merkel am Ende als „Fortschritt“. In Wahrheit ist es aber Stillstand. Nur, weil Trump mit „America first“ eher protektionistisch denkt, stand vor dem Gipfel eine Formulierung infrage, die seit Jahrzehnten als Konsens gilt. Italienische Medien sprechen von einem Gipfel „zwischen Impotenz und Irrelevanz“.

Aber nichts ist ohne Hoffnung. Merkel hat möglicherweise schon eine neuen Allianz geschmiedet: mit Frankreichs neuem Präsidenten Emmanuel Macron. Ihn traf sie zu einem vertraulichen Gespräch in Taormina. Er sei voller Tatendrang. Wenn er sein Land wieder voranbringt und den Populismus zurückdrängt, wird auch die deutsch-französische Achse gestärkt. Das würde zugleich die EU stabilisieren und zusammenhalten. Also doch keine Nullnummer. Vielleicht ein Neuanfang.

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