Hintergrund „Blaue Briefe“: Das Vertragsverletzungsverfahren der EU

Brüssel/Berlin (dpa) - Hat ein Mitgliedstaat der Europäischen Union Regeln der Gemeinschaft gebrochen oder versäumt, diese richtig umzusetzen? Diese Frage klärt das Vertragsverletzungsverfahren.

Zunächst schickt die EU-Kommission in Brüssel eine Anfrage an das betreffende Land. Für die Antwort setzt sie meist eine Frist von zwei Monaten. Danach kann sie das EU-Land zum Handeln auffordern - und, wenn das nicht geschieht, auch vor den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg ziehen. Artikel 258 des Lissabon-Vertrags legt dieses Vorgehen fest.

Laut EU-Kommission kommt es in 95 Prozent der Fälle gar nicht zu einer Klage. Wenn doch, dann setzt sich aber in der überwiegenden Mehrheit die Kommission zumindest teilweise durch.

Erkennt auch das höchste EU-Gericht einen Vertragsverstoß, muss der beklagte Staat diesen beheben. Sonst kann der EuGH hohe Geldstrafen verhängen. In der Vergangenheit gab es etliche solcher Fälle.

So wurde zum Beispiel Griechenland in den vergangenen Jahren mehrmals die Zahlung von Zwangsgeld aufgebrummt, weil das Land sich beim Umgang mit Abwasser und Abfall nicht an EU-Recht hielt. In einem Urteil vom September beschloss der EuGH, dass Athen einen Pauschalbetrag von 10 Millionen Euro und ein Zwangsgeld von 30 000 Euro für jeden Tag Verzug bis zur Umsetzung europäischer Rechtsvorschriften zahlen muss.

Auch die Autoindustrie war schon häufiger betroffen. Beispiele sind der Konflikt um Klimaanlagen-Kältemittel bei Daimler oder die Klage gegen das VW-Gesetz. Letzterer Fall kam auch vor den EuGH, der im Oktober 2013 nach gut zehn Jahren Dauerstreit aber die Sonderstellung des Landes Niedersachsen bei Europas größtem Autobauer bestätigte.

Die Kommission als Wächterin über die EU-Verträge sah zudem die deutschen Maut-Pläne kritisch, weil im ursprünglichen Konzept von Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) ausländische Autofahrer im Vergleich zu deutschen diskriminiert würden. Erst vor kurzem konnte der Streit beigelegt werden. Auch bei der Strom- und Gasrichtlinie der EU hatte es einen „blauen Brief“ aus Brüssel gegeben. Ähnliches geschah in Zusammenhang mit den Gemeinschaftsregeln zum einheitlichen europäischen Luftraum oder zum besseren Nitrat-Schutz von Gewässern.

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