Analyse: Wo Licht ist, ist auch Schatten

Berlin (dpa) - Der deutsche OECD-Vertreter Heino von Meyer formulierte es sportlich: „Deutschland ist aufgestiegen - von der zweiten in die erste Liga. Aber von der Champions League ist Deutschland noch weit entfernt.“

Denn schließlich säßen in deutschen Schulen noch zu viele junge Talente „auf der Reservebank“. Treffender hätte man am Dienstag bei der Präsentation der neuen Pisa-Daten in Berlin das deutsche Abschneiden bei dem vierten weltweiten Schultest kaum beschreiben können. Zehn Jahre nach dem ersten Pisa-Test 2000 und dem deutschen Schock über die miserablen Ergebnisse gibt es zwar gute Anzeichen für Verbesserungen - sowohl bei den Lernleistungen als auch bei der Förderung von Migrantenkindern und anderen Benachteiligten.

Aber insgesamt ist die deutsche Pisa-Bilanz noch zu durchwachsen, als dass es Anlass zu echtem Jubel gibt. „Mit Mittelmaß beim Lesen kann sich Deutschland nicht zufriedengeben“, brachte die Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), Marianne Demmer, die Stimmung Vieler auf den Punkt. Und noch immer sei auch die „soziale Spaltung in der Bildung nicht überwunden“.

Doch fast schon traditionell bewerten die deutschen Pisa-Forscher die Ergebnisse positiver als die internationalen Bildungsexperten aus der Pariser Zentrale der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Der Sprecher des deutschen Pisa-Konsortiums, Eckhard Klieme, träufelte Balsam in die waidwunden Seelen der Kultusminister. Nach dem großen Schock hätten die deutschen Schulen wie auch die Bildungspolitiker ihre Hausaufgaben angenommen. In der Bildung gebe es heute „mehr Gleichheit“, viele Hinweise auf eine bessere Pädagogik, weniger Sitzenbleiber und bei den Jugendlichen viel mehr Freude am Lesen.

Die anwesenden Kultusminister hörten das gern, hielten sich aber mit Selbstlob zurück. „Bei aller Freude über die Verbesserungen - wo Licht ist, ist auch Schatten“, räumte vorsichtig Kultusminister- Präsident Ludwig Spaenle (CSU/Bayern) ein. Und seine SPD-Amtskollegin Doris Ahnen (Rheinland-Pfalz) legte nach: „Pisa zeigt: Die Anstrengungen in den Schulen lohnen sich. Aber es bleiben große Herausforderungen.“

Die vornehme Zurückhaltung der Bildungspolitiker hat auch einen handfesten finanziellen Grund. In einigen Bundesländern geht das Bildungssystem nach einigen Boom-Jahren wieder schwierigeren Zeiten entgegen. Wirtschaftskrise und die Turbulenzen der Landesbanken haben in den Landeshaushalten heftige Spuren hinterlassen. Die neue Schuldengrenze im Grundgesetz tut ein übriges.

So ist in manchem Bundesland völlig offen, ob die sogenannte demografische Rendite - die Einsparungen durch den Schülerrückgang - wie versprochen voll zur Qualitätsverbesserung im Bildungssystem verbleibt. Durch die sinkenden Kinder- und Schülerzahlen werden in den nächsten Jahren über 20 Milliarden Euro frei - auf die so mancher Landesfinanzminister schon ein Auge geworfen hat.

Und auch Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) weiß, dass es nach 2013 viel schwieriger werden wird, noch einmal einen solchen Rekordaufwuchs von zusätzlich zwölf Milliarden Euro für Bildung und Forschung durchzusetzen wie in dieser Wahlperiode. Das gilt um so mehr, weil einige schwarz-gelbe Koalitionspolitiker ihre Steuersenkungspläne immer noch nicht aufgegeben haben.

Um aber die jetzt erreichten deutschen Pisa-Verbesserungen zu stabilisieren und die vielen vorhandenen Defizite zu beseitigen, bedarf es weiterer erheblicher Finanzanstrengungen - in den Ländern wie beim Bund. Ein Teil der zusätzlichen Bundesmittel wird wegen des Verfassungsurteils zur besseren Bildungsförderung von Kindern aus Hartz-IV-Familien ausgegeben. Die Opposition ruft nach einem weiteren Ganztagsschulprogramm und nach Schulsozialarbeitern, die der Bund bezahlen soll. Und die Länder müssen noch mehr in Kitas und Ganztagsschulen investieren, wenn sie auch am Nachmittag mit pädagogischem Leben erfüllt sein sollen.

Denn auch der vierte Pisa-Schulvergleich belegt: Trotz der Verbesserungen ist in keiner anderen vergleichbaren Industrienation der Welt die Abhängigkeit von sozialer Herkunft und Bildungserfolg so groß wie in Deutschland. Und dass immer noch 18,5 Prozent der 15- Jährigen in Deutschland beim Eintritt ins Berufsleben nur auf Grundschulniveau lesen und Texte verstehen können - das wird sich die Bundesrepublik angesichts des größer werdenden Fachkräftebedarfs nicht mehr lange leisten können.

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