Analyse: Schwarz-Gelb kann nichts mehr durchsetzen

Berlin (dpa) - Die politischen Gewichte in Deutschland haben sich mit dem Sieg von SPD und Grünen in Niedersachsen entscheidend verschoben - zum Nachteil der Bundesregierung.

Die kann jetzt nicht mal mehr durch Tricks Gesetze durchsetzen. Denn der Bundesrat ist in der Lage, mit seiner neuen Rot-Grün-Mehrheit alle schwarz-gelben Gesetze bis zum Ende der Legislaturperiode ausbremsen. Umgekehrt können SPD und Grüne in der Länderkammer die Regierungskoalition bis zur Bundestagswahl schlagzeilenträchtig vor sich hertreiben.

Wie sieht die neue Bundesrats-Mehrheit aus?

Die acht Länder mit SPD, Grünen und Linken in der Regierung verfügen im Bundesrat mit 36 von 69 Stimmen künftig über die absolute Mehrheit. Schwarz-Gelb allein kommt nur noch auf 15 Stimmen aus drei Ländern.

Wann gibt es die neue Mehrheit?

Die abgewählte schwarz-gelbe Landesregierung von Niedersachsen bleibt geschäftsführend im Amt und vertritt das Land im Bundesrat, bis die neue Regierung steht. Bis dahin - und das kann März werden - hat dort Rot-Grün keine Mehrheit.

Kann der Bundesrat nun wirklich alles aufhalten?

Ja. Bei Zustimmungsgesetzen (wie dem durchgefallenen Steuerabkommen mit der Schweiz) war das von vornherein klar. Die Regierung hat daher zuletzt Vorhaben wie die Renten-Beitragssatzsenkung trickreich zustimmungsfrei gestaltet. Das geht künftig nun nicht mehr. Denn der Bundesrat kann bei zustimmungsfreien Einspruchsgesetzen mit Rot-Grün-Mehrheit den Vermittlungsausschuss anrufen. Damit sind SPD und Grüne in der Lage, Einspruchsgesetze im Vermittlungsausschuss durch Vertagung so lange hinauszuzögern, dass ein Kompromiss bis zur letzten Sitzung des Bundestages Ende Juni nicht mehr zustande kommt.

Welche schwarz-gelben Gesetzesvorhaben stehen auf der Kippe?

Schlecht stehen die Aussichten etwa für das - koalitionsintern noch nicht fertige, aber angekündigte - Rentenpaket gegen Altersarmut, den Arbeitnehmer-Datenschutz, für einen besseren Verbraucherschutz bei Riester-Renten, für eine verbesserte Gesundheitsvorsorge, einen höheren Steuerfreibetrag für Übungsleiter und die Grundgesetzänderung zur Zusammenarbeit von Bund und Ländern bei wissenschaftlichen Einrichtungen.

Wird es zur Blockade kommen?

Vermutlich ja, auch wenn SPD und Grüne ihre Gestaltungsmehrheit „verantwortungsvoll“ einsetzen wollen: Also nicht zum Blockieren, sondern zum Korrigieren. Erfahrungsgemäß ist die beiderseitige Kompromissbereitschaft in Zeiten des Wahlkampfes aber gering. Noch gut in Erinnerung ist, dass Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine vor der Bundestagswahl 1998 die Regierung Kohl im Bundesrat durch die Blockade der SPD-regierten Länder regelrecht auflaufen ließ.

Was wollen SPD und Grüne mit der neuen Mehrheit anfangen?

Sie wollen über den Bundesrat eine Reihe von öffentlichkeitswirksame Gesetzesinitiativen starten, wie die Überprüfung des Betreuungsgeldes, die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns, ein gerechteres Steuersystem und Schritte gegen Mietwucher. Beschlüsse des Bundesrats dazu haben nach Lage der Dinge aber bei der schwarz-gelben Mehrheit im Bundestag keine Chance.

Hat die rot-grüne Bundesratsmehrheit über die Bundestagswahl hinaus Bedeutung?

Ja. Vor allem dann, wenn es für Union und FDP im Herbst wieder für eine Koalition reichen sollte. Dann würde ihnen der Bundesrat als Gegenmacht das Regieren von Anfang an fast unmöglich machen. Jedes schwarz-gelbe Gesetz liefe Gefahr, in der Länderkammer auf Eis gelegt zu werden.

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