Analyse: Schavans Schritt und Merkels schweres Herz

Berlin (dpa) - Noch bei keinem Rücktritt eines Kabinettsmitglieds hat die Bundeskanzlerin so viel Emotionen gezeigt. „Sehr schweren Herzens nur habe ich den Rücktritt angenommen“.

Das sagt Angela Merkel, als sie am Samstag mit ihrer Freundin Annette Schavan im Kanzleramt deren Verzicht auf das Amt der Bundesbildungsministerin mitteilt. „Sehr schweren Herzens“, betont sie noch einmal. „Ich danke ihr von ganzem Herzen“, sagt sie zum Schluss und lächelt Schavan dabei an. Es ist das einzige Lächeln während des siebenminütigen Auftritts. Beide sind dunkel gekleidet, beide wirken gefasst, aber mitgenommen.

Schavan zieht die Konsequenzen aus der Aberkennung ihres Doktortitels am vorigen Dienstag. „Die Vorwürfe treffen mich tief“, bekennt die 57-Jährige. Sie wird klagen gegen die Entscheidung der Universität Düsseldorf, die ihr vorsätzliche Täuschung in ihrer vor 33 Jahren geschriebenen Promotionsarbeit vorwirft. „Ich habe in meiner Dissertation weder abgeschrieben noch getäuscht“, betont sie noch einmal. Sie wirkt entschlossen, ihr Rücktritt souverän. Kein einziges Mal verliert sie den Faden. Sie ist ruhig, ihre Stimme fest.

Über die Parteigrenzen hinweg zollen ihr Politiker für diesen Schritt Respekt. Damit habe sie sich die Anerkennung für ihre 17 Jahre im Dienst der Bildungs- und Wissenschaftspolitik gesichert, meinen Oppositionsvertreter. Eine von der „Bild am Sonntag“ beim Meinungsforschungsinstitut Emnid in Auftrag gegebene Umfrage noch vor dem Rücktritt ermittelte eine Mehrheit der Deutschen (62 Prozent), die Merkel und die Union durch die Schavan-Affäre beschädigt sieht. Das könnte sich nun ändern. CDU-Politiker wie Unionsfraktionschef Volker Kauder hadern allerdings. Wie Schavan empfindet auch er das Vorgehen der Uni Düsseldorf als ungerecht. „Als Jurist schüttle ich bei einem solchen Verfahren nur den Kopf“, sagt er der „Welt“.

Erst war Schavan zehn Jahre als Kultusministerin in Kauders Heimatland Baden-Württemberg und dann sieben Jahre als Bundesbildungsministerin - so lange wie kein Amtsinhaber vor ihr. „Gute Jahre, für die ich sehr dankbar bin“, sagt Schavan.

Zur Nachfolgerin hat Merkel die promovierte Mathematikerin Johanna Wanka berufen. Sie war schon Ministerin in Brandenburg und als erste ostdeutsche Ministerin in Niedersachsen. Nach der CDU-Wahlniederlage bei der dortigen Landtagswahl Ende Januar wechselt die gebürtige Sächsin und erfahrene Wissenschaftlerin nun nahtlos auf die höchste Ebene. Die 61-Jährige passt in Merkels Politik-Schema.

Merkel und Schavan hatten sich noch am Freitagabend besprochen. Die Kanzlerin war gerade schlaflos von einem Gipfel-Marathon aus Brüssel zurückgekommen und Schavan von einer anstrengenden Südafrika-Dienstreise. Beide Frauen sehen bei ihrer Erklärung erschöpft und blass aus. In Südafrika habe sie gründlich über die Konsequenzen nachgedacht, erzählt Schavan - und liefert selbst den Grund, warum sie im Amt nicht zu halten war: „Wenn eine Forschungsministerin gegen eine Universität klagt, dann ist das mit Belastungen verbunden für mein Amt, für das Ministerium, die Bundesregierung und auch die CDU. (...) Es geht nicht, das Amt darf nicht beschädigt werden.“

Nicht nur das Amt wäre beschädigt worden, sondern auch Merkel. Sie hatte vor zwei Jahren den Rücktritt von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) als Verteidigungsminister angenommen, dem ebenfalls der Doktortitel entzogen worden war. Und 2013 ist Bundestagswahljahr. Die Kanzlerin hätte sich immer wieder den Vorwurf anhören müssen, dass sie an der Spitze des Bildungsministeriums kein Vorbild für Schule, Wissenschaft und Forschung beschäftigt.

Aber gerade ein Vorbild sieht Merkel in Schavan. Sie sei die anerkannteste und profilierteste Bildungspolitikerin in Deutschland. Auf die Doktortitel-Affäre geht die Kanzlerin mit keinem Wort ein. Vielleicht kann sie glauben, dass Schavan Flüchtigkeitsfehler gemacht hat - aber eine vorsätzliche Täuschung traut sie ihr nicht zu.

Das „Zeit“-Magazin“ fragte Schavan für die Ausgabe Ende Januar, wie man sie in Erinnerung behalten solle. „Als eine Politikerin, die ihre Verantwortung wahrgenommen hat“, antwortete Schavan damals. In dem Gespräch gab sie auch preis, dass sie schon über ihr Leben nach der Politik nachgedacht hat. Wenn es vorbei sei, wolle sie sich ins Auto setzen und nach Hause fahren. Zuerst ins Rheinland zu ihrer Mutter und ihren Brüdern nach Neuss. Danach könnte sie sich drei Monate Rom vorstellen. Und danach drei Monate Paris.

Schavan dankt Merkel noch: „Freundschaften hängen nicht an Amtszeiten und gehen über diesen Tag hinaus.“ Vielleicht fahren sie später gemeinsam nach Paris - als ziemlich beste Freundinnen. Merkel will Französisch lernen, wenn sie einmal nicht mehr Kanzlerin ist.

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