Analyse: Piraten vor schwierigen Aufgaben

Berlin (dpa) - Schnell schalten sie um vom Jubel- in den Arbeitsmodus: Die Piraten wollen ihren Erfolg bei der Landtagswahl im Saarland weiter ausbauen. Bei allem jetzt besonders großen Selbstbewusstsein ist die Einsicht spürbar, dass die junge Partei noch ganz am Anfang steht.

„Wir dürfen jetzt nicht die Bodenhaftung verlieren“, warnt am Montag der stellvertretende Bundesvorsitzende Bernd Schlömer im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa.

Geradezu explodiert war am Vorabend die Twitter-Timeline, also der Strom der Kurzmitteilungen in diesem Internet-Dienst, den die Piraten so intensiv nutzen wie keine andere Partei. „Noch nie war ich so froh Pirat zu sein“, schrieb der Berliner Piraten-Abgeordnete Christopher Lauer, ungekrönter Twitter-Häuptling der Piraten. „Wir sind der Beweis, dass Engagement die Gesellschaft verändern kann.“

Als dann das Wahlergebnis mit 7,4 Prozent feststeht, mahnte der Bundesvorsitzende Sebastian Nerz: „Partei-Arbeit. Saarland darf feiern. Woanders geht es weiter.“

Die Piraten haben gezeigt, dass sie nach dem Einzug ins Berliner Abgeordnetenhaus im September 2011 auch in einem Flächenland erfolgreich sein können. Jetzt geht es gleich weiter - am 6. Mai in Schleswig-Holstein und am 13. Mai in Nordrhein-Westfalen. Vorher kommen die Piraten am 28. und 29. April in Neumünster bei Kiel zu einem Parteitag zusammen und entscheiden, mit welchem Führungsteam sie sich künftig präsentieren.

Der ruhige und eher pragmatische Parteichef Nerz führt die Piraten geschickter als sein Vorgänger Jens Seipenbusch. Er trägt auch von ihm eher kritisch gesehene Beschlüsse mit wie das grundsätzliche Plädoyer für ein bedingungsloses Grundeinkommen. Ob er auch im April wieder in den Bundesvorstand gewählt wird, hängt ganz entscheidend davon ab, welche Mitglieder nach Neumünster kommen werden - die Piraten kennen kein Delegiertensystem, jedes Mitglied ist auf Parteitagen stimmberechtigt. Und in keiner anderen Partei wird so leidenschaftlich öffentlich gestritten wie bei den Piraten.

Die Piraten sind längst schon keine Ein-Themen-Partei mehr. Aber nach Ansicht von Parteienforschern wie Jürgen Falter, werden sie auch kaum wegen ihres Programms gewählt, „sondern weil sie einen grundsätzlich anderen Politikstil beanspruchen und die Anti-Partei schlechthin sein wollen“. Auch aus Sicht des Trendforschers Holm Friebe punktet die erst 2006 gegründete Partei derzeit noch weniger mit Inhalten als mit ihrer Ausstrahlung. „Die Inhalte der Piraten sind kaum erkennbar jenseits der Internetpolitik“, sagte Friebe der Nachrichtenagentur dpa.

In den anderen Parteien gibt es ebenfalls kluge Netzpolitiker, für die das Internet ein zentraler Teil ihrer politischen Arbeit geworden ist. Aber dort gibt es auch etliche Politiker, die mit ihren Äußerungen regelmäßig die Twitter-Wogen der Empörung hoch gehen lassen.

Gleich am Wahlabend war es der künftige Generalsekretär der im Saarland mit 1,2 Prozent arg gebeutelten FDP, Patrick Döring, der in diese Kerb hieb. In der „Berliner Runde“ der ARD kritisierte er die Piraten, dass ihr „Gesellschaftsbild, das Politikbild, das Menschenbild ... manchmal so stark von der Tyrannei der Masse geprägt“ sei, „dass ich mir als Liberaler nicht wünsche, dass sich dieses Politikbild durchsetzt“. Am Montag fügte er hinzu, es grenze an Absurdität, „dass die Piraten ihrerseits zwar für alle anderen maximale Transparenz einfordern, gleichzeitig aber für sich und ihresgleichen den Schutz der Anonymität beanspruchen und aus dieser Anonymität heraus bisweilen extrem aggressiv agieren“.

Während viele Parteimitglieder sich auf Twitter am Montag über Döring aufregen, holt die saarländische Spitzenkandidatin Jasmin Maurer erst einmal Luft. „Ja, der Kreislauf war gestern weg“, erklärte sie ihr Fernbleiben in den TV-Runden der Spitzenkandidaten am Vorabend. „Zu viel Aufregung, zu wenig getrunken vor Stress und dann die Hitze ...“.

Saar-Piratin Maurer war nicht die Einzige, die am Wahlabend passen musste. Denn einer der vier Neuen im Saarbrücker Landtag, Michael Neyses, kann bei Twitter noch gar nicht mitfeiern. „Ein Pirat ohne Twitter?“ wurde bei Twitter erstaunt nachgefragt. „Was ist da los?“

Mit den Wahlerfolgen steigen nun auch die Erwartungen. „Jetzt zeigt uns, dass unser Vertrauen gerechtfertigt ist“, twitterte ein Anhänger. Die Piraten wollen dem mit Blick auf die nächsten Wahlen gerecht werden. „Wir haben jetzt eine einmalige Chance, dass wir in weiteren zwei Bundesländern am Parlamentsbetrieb teilhaben können und ich würde mir wünschen, dass uns der Bürger hinreichend vertraut“, sagte der stellvertretende Parteichef Schlömer und versicherte treuherzig: „Wir sind ja keine Radikalen.“

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