Analyse: Moskaus Spiel mit dem Feuer

Simferopol (dpa) - Mit Gewehr im Anschlag marschieren Vermummte am Freitag vor dem Flughafen von Simferopol auf und ab. In Uniformen ohne Abzeichen lösen die Männer Hysterie auf ukrainischen Halbinsel Krim aus, wo die Gerüchteküche ohnehin hochkocht.

Analyse: Moskaus Spiel mit dem Feuer
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„Alles unter Kontrolle“, meint zwar Sicherheitsratschef Andrej Parubij im fernen Kiew. Aber die unbekannten Paramilitärs in Simferopol kontrollieren die Zufahrten zum Flughafen. Schnell ist die Rede von russischen Spezialeinheiten, die in dem strategisch wichtigen Gebiet unterwegs sind. Bereitet Moskau mit chirurgischer Präzision die Übernahme der prorussisch geprägten Region am Schwarzen Meer vor?

Dazu passt ein Bericht des ukrainischen Grenzschutzes. Der russische Raketenkreuzer „Iwanowez“ blockiere die Krim-Bucht von Balaklawa im Südwesten. Zehn Militärhubschrauber seien zum Stützpunkt der russischen Schwarzmeerflotte nahe der Stadt Sewastopol geflogen - nur drei von ihnen aber seien offiziell angemeldet gewesen.

Der Sender Radio Liberty berichtet, Hunderte russische Soldaten seien als Verstärkung in Sewastopol eingetroffen. Russisches Militärgerät soll auf der Straße nach Simferopol unterwegs sein. Der ukrainische Innenminister Arsen Awakow spricht von „bewaffneter Invasion und Besatzung“, von „Provokation“. Zuständig sei nun der Nationale Sicherheitsrat - der kurz danach eilig von Interimspräsident Alexander Turtschinow einberufen wird.

Das russische Außenministerium gibt sich derweil demonstrativ einsilbig: Bei den Vorgängen auf der Krim handele es sich um einen innenpolitischen Prozess. Doch hinter den Kulissen scheint Moskau die Weichen für einen möglichen Beitritt der Krim zur Russischen Föderation zu stellen. Entsprechende Gesetzentwürfe der kremlnahen Partei Gerechtes Russland liegen der Staatsduma bereits vor. Von einer „Machtdemonstration des Kreml“ spricht der russische Politologe Georgi Tschischow.

Prominente Russen wie der 2,11 Meter große Ex-Boxer Nikolai Walujew und Valentina Tereschkowa - die erste Frau im Weltraum - geben sich auf der Krim die Klinke in die Hand. Der frühere Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow fordert ein rasches und entschlossenes Handeln der russischen Führung.

Auch der bekannte Rocker-Anführer „Chirurg“, ein guter Kumpel von Präsident Wladimir Putin, fliegt nach Simferopol. Sie wollen der Krim „humanitäre Hilfe“ leisten, wie sie auch Putin selbst ins Gespräch gebracht hat.

60 Jahre, nachdem der damalige Kremlchef Nikita Chruschtschow der Sowjetrepublik Ukraine die Krim schenkte, scheint der Traum vieler Russen von einer Rückkehr der Halbinsel zum Greifen nah. Im Internet verbreiten sich Aufrufe zum „Schutz der russischen Muttererde“ - nicht nur auf der Krim, einem beliebten Ferienparadies, sondern auch in den russischsprachigen Gebieten um Charkow, Donezk und Odessa im Osten der Ex-Sowjetrepublik.

In Simferopol - der Hauptstadt der überwiegend von ethnischen Russen bewohnten Krim - haben moskautreue Kräfte die Kontrolle über Parlament und Regierung übernommen. Ihr Erkennungszeichen ist das orange-schwarze Georgsband am Revers zur Erinnerung an den sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg. Der abgesetzte Präsident Viktor Janukowitsch tönt aus dem russischen Rostow am Don, wohin er vor dem Volkszorn geflohen ist: Die Krim zeige eben eine ganz natürliche Reaktion auf den Staatsstreich von „Banditen“ in Kiew.

Zwar betont auch Janukowitsch, die Krim müsse ein Teil der Ukraine bleiben. „Ich bin kategorisch gegen eine Invasion in der Ukraine“, sagt der abgesetzte Staatschef. Die chaotischen Folgen eines Zerbrechens des Landes will sich bisher niemand ausmalen. In Russland allerdings wird bereits die Sprachregelung vorgegeben, mit der eine Abspaltung der Krim international verteidigt werden könnte.

Dazu übernimmt Moskau bereitwillig die Argumentation des Westens in früheren Fällen. „Falls der Volkswille im Kosovo und in Kiew eine Quelle von Macht und Selbstbestimmung ist - dann kann niemand dies der Mehrheit der Menschen auf der Krim verwehren“, schreibt der einflussreiche russische Außenpolitiker Alexej Puschkow bei Twitter.

Das Kosovo hatte sich mit Unterstützung des Westens und gegen den Willen Belgrads, das die Region weiterhin als Teil seines Staatsgebiets betrachtet, 2008 für unabhängig erklärt. Seitdem versuchen Serben, die im Nordkosovo die Mehrheit der Bevölkerung stellen, ihren Landesteil vom Kosovo abzutrennen und an die Mutterrepublik Serbien anzuschließen.

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