Analyse: „Kalter Krieg“ um Kiew

Kiew (dpa) - Im Minutentakt schleppen Regierungsgegner in Kiew mit Schnee gefüllte Plastiksäcke auf die Straßen und verstärken damit ihre meterdicken Barrikaden gegen die Spezialeinheiten der Polizei.

Analyse: „Kalter Krieg“ um Kiew
Foto: dpa

Bei tiefen Minusgraden überschütten sie ihre Abwehrbollwerke mit Wasser, das schnell zu einer eisharten Wand und einer Rutschbahn friert. Ein Steinwurf davon entfernt steht vor dem Dynamo-Stadion ein Stapel Autoreifen in Flammen, Rauch und Gestank liegen in der Luft.

Nach zwei Monaten der Straßenproteste mit mindestens drei Toten und Hunderten Verletzten stellen sich die Regierungsgegner um Vitali Klitschko auf einen weiterhin erbitterten Kampf gegen die prorussische Führung ein. „Sieg oder Tod!“, steht auf einem großen Transparent.

Im Morgengrauen nehmen Oppositionelle das Agrarministerium am benachbarten Prachtboulevard Kreschtschatik in Beschlag - auch um sich zwischendurch aufzuwärmen. Auch offene Feuer sorgen an diesem bitterkalten Januartag für Wärme, zudem verteilen Freiwillige in Feldküchen heißen Tee. Schneeanzüge schützen vor schmerzhaftem Frost.

Parallel beginnt EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle seine Sondierungsgespräche in Kiew. Erste Fernsehbilder vom Treffen mit Präsident Viktor Janukowitsch zeigen eine extrem unterkühlte Atmosphäre. Kommende Woche reist die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in die frühere Sowjetrepublik.

Das geopolitische Ringen um das Schlüsselland Ukraine mit seinen mehr als 45 Millionen Einwohnern ist von Beginn an wichtigster Faktor der schweren innenpolitischen Krise. Auch Kremlchef Wladimir Putin mischt als Geldgeber für die Führung in Kiew mit. Schon am Dienstag reist Putin zum EU-Russland-Gipfel nach Brüssel. Die Ukraine dürfte dort ganz oben auf der Agenda stehen. Es ist das erste Treffen beider Seiten seit dem spektakulären Scheitern der von der Opposition herbeigesehnten EU-Annäherung der Ukraine im vergangenen November. Seitdem werfen sich Brüssel und Moskau immer wieder in scharfem Ton vor, sich in die inneren Angelegenheiten der Ukraine einzumischen.

Russland will das Nachbarland in eine Zollunion ziehen. Putin strebt seit Jahren nach einer postsowjetischen Eurasischen Union als Gegengewicht zur EU und half der klammen Ukraine mit einem Milliardenkredit. Auch bei der Münchner Sicherheitskonferenz (31. Januar bis 2. Februar), zu der Russlands Außenminister Sergej Lawrow reist, wird die Ukraine wohl für Streit sorgen.

Politologen in Kiew beklagen seit Jahren, dass das Land ein Spielball der Großmächte sei. Das ewige Gezerre von Russland und der EU um die Ukraine behindere dringend benötigte Reformen. Der Westen und Russland müssten ihren harten „Kampf um die Ukraine“ aufgeben, fordert Janukowitsch. „Unser Staat ist unabhängig und das Volk gereift. Wir wollen und können unser Schicksal selbst bestimmen.“

Doch internationale Appelle an den Präsidenten, endlich einen Kompromiss mit der Opposition zu finden, verhallen ungehört. Im Gegenteil: Janukowitsch ernennt nur einen Tag nach Telefonaten etwa mit Bundeskanzlerin Angela Merkel den Chef des Nationalen Sicherheitsrats zum Leiter seiner Verwaltung. Andrej Kljujew gilt als Hardliner, den die Opposition für Gewalt gegen friedliche Proteste verantwortlich macht. Beobachter sehen in der Ernennung ein Signal von Janukowitsch an die Opposition, dass er nicht einlenken will.

Ein Teil der Demonstranten weitet am Freitag die „Kampfzone“ aus - nun bis zur Olginskaja-Straße an einer stark genutzten Metrostation. Sie reagieren damit auf das Scheitern stundenlanger Krisengespräche zwischen der Opposition um Klitschko und Janukowitsch. Enttäuschung und Pfiffe - auch gegen Klitschko - sind auf dem Unabhängigkeitsplatz (Maidan) die Folge für die ergebnislosen Verhandlungen. „Wir werden nicht kapitulieren“, ruft der Ex-Boxweltmeister. „Wir glauben keine Versprechen mehr“, sagt aber eine Demonstrantin in wütendem Ton.

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