Analyse: Griechen riskieren Zukunft im Euro

Athen/Frankfurt (dpa) - Griechenland steckt im Dilemma. Umfragen zufolge will zwar die überwiegende Mehrheit der Griechen den Euro behalten. Doch in den Wahlergebnissen kommt das nicht zum Ausdruck. Die Situation ist brisant: Die großen Parteien haben keine Mehrheit für den weiteren Sparkurs, die Geduld der internationalen Geldgeber ist strapaziert, das Vertrauen der Anleger fehlt ohnehin.

Dem Euroland stehen wieder unruhige Wochen bevor.

Mit der konservativen Nea Dimokratia (ND) und der sozialdemokratischen Pasok haben die Verfechter des umstrittenen Sparprogramms die Mehrheit im Parlament um zwei Abgeordnete verpasst. Die Regierungsbildung gestaltet sich extrem schwierig.

Doch die Zeit drängt: Griechenland muss bis Mitte Mai handlungsfähig sein. Spätestens Anfang Juni kommt wieder die „Troika“ aus Experten von Europäischer Union, Internationalem Währungsfonds und Europäischer Zentralbank (EZB) nach Athen, um über weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Wirtschaft zu sprechen.

„Ohne eine funktionierende Regierung scheint es höchst unwahrscheinlich, dass Griechenland der Troika Pläne für weitere Budgeteinsparungen unterbreiten kann“, sagt Jürgen Michels, Europa-Chefvolkswirt der Citigroup, die bereits im Februar den Begriff vom „Grexit“ in Umlauf gebracht hatte, den Ausstieg Athens aus dem Euro.

Die internationalen Geldgeber fordern Einsparungen in Höhe von sieben Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Wahrscheinlichkeit eines Ausstiegs-Szenarios sei mit dem Wahlausgang wieder gestiegen und liege nun zwischen 50 und 75 Prozent, so Michels weiter.

Athen braucht dringend wieder neues Geld - bis Ende Juni sollen es 30 Milliarden Euro sein. Davon sind sieben Milliarden für Renten und Löhne im staatlichen Bereich und 23 Milliarden für die Stabilisierung des Bankenbereichs nach dem Schuldenschnitt bestimmt. Finden die Kontrolleure keine handlungsfähige Regierung in Athen vor, könnten sie den Geldhahn zudrehen und Griechenland wäre Ende Juni pleite.

„Wie bereits zu Beginn des Jahres dürften die Finanzmärkte nun wieder das Risiko eines Euro-Exits Griechenlands einkalkulieren“, sagt Pierre-Olivier Beffy, Chefvolkswirt der Investmentgesellschaft Exane BNP. Sollte der politische Stillstand bis zur Auszahlung der nächsten Tranche der Hilfsgelder im Juni anhalten, sei dies vor dem Hintergrund anhaltender Unsicherheit und zunehmender sozialer Unruhen ernsthaft als Szenario zu betrachten.

Europa habe mit Griechenland „ein großes Problem“, sagte Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Seiner Einschätzung nach stellt sich die Frage, ob Europa für einen griechischen Ausstieg aus dem Währungsraum gerüstet sei. Zwar seien einige Maßnahmen ergriffen worden, um sich gegen Ansteckungsgefahren zu rüsten, so der Ökonom. So stünden die Rettungsfonds EFSF und ESM sowie der IWF bereit, um Krisenländer vor den Nebenwirkungen einer „Grexit“-Debatte an den Finanzmärkten zu schützen.

Doch damit könnte es eventuell noch nicht getan sein: „Sollte ein Ende Griechenlands im Euro eine Kapitalflucht in großem Stil aus den anderen Peripherie-Ländern auslösen, müsste die EZB massiv eingreifen“, warnt Schmieding. Die Gefahr von schwerwiegenden Markt-Turbulenzen sei signifikant.

In Griechenland selbst findet der Euro-Ausstieg derzeit lediglich als Rand-Diskussion statt. Das erstaunt viele internationale Beobachter, haben doch weniger als die Hälfte der Griechen ihr Kreuz bei Parteien gemacht, die mit entsprechenden Reformen für einen Verbleib in der Gemeinschaftswährung kämpfen wollen.

Maximal neun Tage haben Konservative und Sozialisten Zeit, ein Regierungsbündnis zu schmieden. Doch die Chancen stehen schlecht: Denn sie haben nicht die nötige Mehrheit von 151 Abgeordneten im 300-köpfigen Parlament und sind damit auf die Kooperation rechtspopulistischer und linker Parteien angewiesen. Neuwahlen gelten als wahrscheinlich. Die Zukunft Griechenlands ist ungewisser denn je.

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