Analyse: Freispruch für Amanda Knox gekippt

Rom (dpa) - Eine junge britische Austauschstudentin wird in einer kalten November-Nacht in Perugia vergewaltigt und brutal ermordet. Die Rede ist von wilden Sexspielen, die ausufern.

Ihre amerikanische Mitbewohnerin und deren Freund geraten unter Mordverdacht. Beide beteuern im Verhör ihre Unschuld. Das alles geschieht im Spätherbst 2007 in der bei ausländischen Studenten beliebten italienischen Stadt in Umbrien.

„Engel mit den Eisaugen“ taufen Medien die hübsche Studentin Amanda Knox von der US-Westküste. Sie wird verhaftet, verurteilt und später doch wieder freigesprochen. Viele Zweifel blieben in den beiden Indizienprozessen - vor allem an der Spurensicherung nach der Bluttat.

Nun hat das römische Kassationsgericht den Freispruch für die 25-jährige Knox und ihren Ex-Freund Raffaele Sollecito annulliert. Der Justiz-Krimi ist also noch nicht abgeschlossen. In Florenz kommt der spektakuläre Mord neu vor Gericht. Dort könnte schon in wenigen Monaten das nächste Kapitel geschrieben werden - sicher wieder vor massenweise Journalisten aus aller Welt. Ob Knox bei dem Verfahren dabei sein wird, ist fraglich. Sie lebt seit ihrem Freispruch wieder in den USA.

Ist die junge Frau eine Mörderin? Knox beteuerte stets, nichts damit zu tun zu haben, weinte und flehte vor Gericht. Für die Medien war die blonde, blauäugige Studentin zuerst ein „Teufel im Engelsgewand“, dann die Unschuldige hinter Gittern.

Der Prozess bekam Aufmerksamkeit wie kaum ein anderer in Italien - allein mehr als 400 Medienvertreter waren beim Freispruch 2011 dabei. Sie kamen vor allem aus Großbritannien - wegen der Ermordeten - und aus den USA, weil eine Amerikanerin vor Gericht stand. Die US-Medien sparten dann auch nicht mit bösen Seitenhieben auf „Unzulänglichkeiten“ der italienischen Justiz.

Knox habe vor dem jüngsten römischen Verdikt eine schlaflose Nacht in Seattle gehabt, wo sie studiert, berichtet ihr Anwalt Carlo Dalla Vedova. Nach einem Telefongespräch mit ihr sagt er: „Sie ist enttäuscht, aber nicht verzagt, so was würde auch nicht ihrem Charakter entsprechen.“

Der Italiener Sollecito erfuhr die Hiobsbotschaft an seinem 29. Geburtstag: „Und ich dachte, man könnte nun einen Schlussstrich unter diese Sache ziehen“, sagt er.

Der Anwalt der Familie Kercher feiert dagegen einen Sieg, die Schwester der Getöteten weint Freudentränen. Alle warten jetzt auf die Begründung der Kassationsentscheidung.

Die weltweite Aufmerksamkeit nutzte Knox auch für sich. Sie schrieb ein Buch, Ende April will der US-Fernsehsender ABC ein exklusives Interview mit ihr ausstrahlen. Ihre Autobiografie erscheint strategisch klug am selben Tag. Dass der „Engel mit den Eisaugen“ zu seinem Berufungsprozess kommt, gilt als unwahrscheinlich.

Bis zum Prozess kann wohl auch Sollecito sein Studentenleben in Verona ungestört von der Justiz fortsetzen. Bis zu ihrem Freispruch hatten er und Knox immerhin fast vier Jahre hinter Gittern verbracht.

Lange Zeit galt ihre Schuld als sicher. 2009 wurden Knox und der drei Jahre ältere Sollecito in einem umstrittenen Indizienprozess zu 26 und 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Der Ivorer Rudy Guede sitzt wegen Beihilfe zum Mord hinter Gittern - seine Verurteilung zu 16 Jahren Haft in einem abgetrennten, schnelleren Verfahren ist endgültig.

Ob die Fragen zur Mordnacht im November 2007 jemals beantwortet werden können? Meredith Kercher starb 21-jährig in ihrem Zimmer in dem Haus, das sie sich mit Knox und anderen Studenten teilte. Am Morgen des 2. November fand man sie mit durchgeschnittener Kehle, halbnackt und mit Messerstichen übersät.

Knox und ihr Freund hätten Meredith beim Sex „aus Langeweile und unter Drogeneinfluss“ getötet, heiß es im ersten Urteil. Was tatsächlich geschah, das konnten auch die Berufungsrichter nicht klären: Freispruch. Nun müssen die Richter in Florenz versuchen, Licht in das Dunkel zu bringen.

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