Analyse: EZB reagiert auf Schuldenkrise

Frankfurt/Main (dpa) - Mutig ist er, das beweist Mario Draghi gleich zu Beginn seiner Amtszeit als EZB-Präsident. Der Italiener führt die Notenbank trotz hoher Inflation zurück auf einen Kurs des extrem billigen Geldes.

Nüchtern und mit ernster Miene macht der 64-Jährige bei seinem ersten öffentlichen Auftritt als oberster Währungshüter Europas am Donnerstag klar, wer im Frankfurter Euro-Tower nun den Ton angibt.

Als Draghi im Frühjahr gekürt wurde, schlug vor allem in Deutschland mancher die Hände über dem Kopf zusammen: Ausgerechnet ein Italiener soll verlässliche Geldpolitik garantieren? Die Unabhängigkeit der Notenbank gilt gerade in Deutschland als höchstes Gut, nachdem die Geschichte gelehrt hat, wohin es führen kann, wenn einfach die Notenpressen angeworfen werden.

Nach dem Paukenschlag vom Donnerstag blieb der entsetzte Aufschrei möglicher Kritiker aus. Volkswirte nannten die Leitzinssenkung auf 1,25 Prozent angesichts der drohenden Rezession vertretbar, auch wenn die meisten Experten erst später mit diesem Schritt gerechnet hatten.

Draghi seinerseits bemühte sich, Bedenken zu zerstreuen, die Europäische Zentralbank (EZB) lasse sich zum Spielball der Politik machen. „Wir werden von niemandem gedrängt. Wir sind unabhängig. Wir bilden uns unsere eigene Meinung. Das ist es.“ Und: „Wir machen nur unseren Job.“

Den Skeptikern in Deutschland richtete Draghi aus: „Ich habe große Bewunderung für die Bundesbank.“ Deren Ex-Präsident Axel Weber hatte in diesem Frühjahr die Brocken hingeworfen und darauf verzichtet, neuer „Mister Euro“ zu werden, weil er den Krisenkurs der EZB nicht mehr mittragen wollte.

Dass ihm die Vorstellung einer unabhängigen und allein einer stabilen Währung verpflichteten Notenbank keineswegs fremd ist, hatte Draghi schon in der Vergangenheit deutlich gemacht. Der „Financial Times“ („FT“) sagte er im Dezember 2010 zum umstrittenen Aufkauf von Staatsanleihen durch die EZB: „Ich bin mir nur zu gut darüber im Klaren, dass wir ganz leicht eine Linie überschreiten und alles verlieren könnten, was wir haben, unsere Unabhängigkeit - und im Grunde gegen den (EU-)Vertrag verstoßen könnten.“

Schon als Chef der italienischen Notenbank bewies Draghi, dass das keine Worthülsen sind. Italiens Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi kritisierte er ebenso unverhohlen wie die Schuldenpolitik in seinem Heimatland.

Doch Draghi gilt auch als Pragmatiker, der bereit ist, die Konjunktur notfalls durch unkonventionelle Maßnahmen zu unterstützen. Daher kauft die EZB auch unter seiner Ägide weiterhin Ramschanleihen - und setzt damit das umstrittene Programm seines Vorgängers Jean-Claude Trichet fort. Gleichwohl lässt Draghi keinen Zweifel an der grundsätzlichen Richtung der EZB-Geldpolitik: „Unser Ziel ist Preisstabilität.“

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