Analyse: EU legt Budapest Daumenschrauben an

Brüssel (dpa) - Oft reicht es schon, wenn die EU-Kommission ihre Folterinstrumente bloß vorzeigt. Im Fall Ungarns hat die Behörde im Streit um Gesetzesänderungen die Daumenschrauben sichtbar angezogen.

Bis zum kommenden Dienstag müsse Ungarn einlenken bei den umstrittenen Verfassungs- und Gesetzesänderungen, sagte ein Sprecherin am Mittwoch. Sonst drohten Vertragsverletzungsverfahren. Die Warnung der EU-Kommission an die Adresse des rechts-konservativen Regierungschefs Viktor Orbán ist deutlich - jetzt hofft sie, dass er bald einknickt.

EU-Währungskommissar Olli Rehn setzte am Mittwoch noch eins drauf: Er plane erstmals, die Auszahlung von Euro-Milliarden aus dem Kohäsionsfonds der EU zu sperren - als Strafe für Ungarns Verstoß gegen die Haushaltsdisziplin.

Und auch auf die Bitte der Ungarn, mit EU und IWF wieder über Milliardenhilfen zur Abwendung der Staatspleite zu verhandeln, reagierte die Kommission spröde: „Ein rechtlich stabiles Umfeld“ von Grundrechten und Demokratie sei nötig, um das Vertrauen von Partnern und Investoren wieder herzustellen, belehrte die Kommission Orbán: „In Zeiten der Wirtschaftskrise ist das besonders wichtig.“

Deutlicher ließ sich kaum ausdrücken, dass die EU-Kommission extrem verärgert darüber ist, wie Orbán - mit der fast absoluten Zwei-Drittel-Mehrheit seiner Partei Fidesz im Rücken - innerhalb eines guten Jahres das Land massiv umgebaut hat. Dabei sehen die EU-Vertragshüter so viele wesentliche Rechte gefährdet, dass sie Mitte Dezember mehrere Mahnbriefe an die ungarische Regierung schrieben.

Die Kommission nennt vor allem drei Punkte: Die vorgeschriebene Unabhängigkeit der Zentralbank ist bedroht, die zeitweilige Änderung des Pensionsalters von Richtern gefährdet die Unabhängigkeit der Justiz und auch der Datenschutzbeauftragte werde nicht mehr unabhängig sein.

Am Dienstag kommender Woche soll also das Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet werden, sofern Orbán bis dahin nicht von sich aus Besserungen im Gesetzeswerk gelobt. Die EU-Kommission will aber daran festhalten, sich auf klassische Verfahren wegen Vertragsverletzungen zu beschränken.

Dagegen fordern Sozialdemokraten, Liberale und Grüne im Europaparlament bereits, ein noch schwereres Geschütz gegen den als „Puszta-Putin“ apostrophierten Orbán aufzufahren. Denn Artikel 7 des Vertrages besagt, dass vier Fünftel der EU-Staaten einem anderen Staat sogar die Mitgliedsrechte entziehen können, sofern eine „eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung“ der Grundwerte bestehe.

Angewendet wurde diese Vertragsklausel noch nie - auch deswegen, weil das juristisch schwer zu begründen ist. Zudem will die EU-Kommission als „Hüterin der Verträge“ den Eindruck vermeiden, sie mische sich in nationale politische Entscheidungen ein. Stattdessen geht die Kommission den Weg normaler Vertragsverletzungsverfahren. Sie prüft routinemäßig, ob ein Mitgliedstaat sich an jede einzelne der 8400 Verordnungen und 2000 Richtlinien der EU hält.

Dass Orbán allen Warnungen zum Trotz an seinen Gesetzesänderungen festhielt, wurde in Brüssel mit ungläubigem Staunen beobachtet. Denn schon im Dezember war klar, dass Ungarn wieder einmal dringend Finanzhilfe von EU und Internationalem Währungsfonds IWF benötigen würde. Barroso schlug dann auch mit dem Schwert zu, das ihm Orbán in die Hand gelegt hatte: EU und IWF setzten die Gespräche über die Finanzhilfe mit Ungarn aus. Und nun kommt noch die Drohung mit einem Stopp der Fördergelder hinzu: 2010 waren das immerhin rund zwei Milliarden Euro.

Orbán muss mit der EU aus einer Position der Schwäche verhandeln, in dem aller Nationalstolz nicht viel weiterhilft. Kommissionssprecherin Pia Ahrenkilde Hansen ist zuversichtlich: „Wir erwarten, dass Ungarn kooperieren und jene Fragen, bei denen wir Bedenken haben, noch einmal überdenken wird.“

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