Analyse: Ein Mann zerbombt den Weihnachtsfrieden

Stockholm (dpa) - Zeitpunkt und Ort hätte der Attentäter von Stockholm nicht schlimmer wählen können.

Zum absoluten Höhepunkt der vorweihnachtlichen Einkaufszeit in der Drottninggatan, der beliebtesten Einkaufsstraße der schwedischen Hauptstadt, wollte der Selbstmordattentäter wohl so viele Menschen wie irgend möglich mit in den Tod reißen. Dass am Ende lediglich der Terrorist starb und nur zwei Passanten leicht verletzt wurden, ist ein Trost für das schockierte Schweden, das von islamistischem Bombenterror bisher verschont blieb.

Der Anschlag kam zu einem für die Skandinavier extrem sensiblen Zeitpunkt: Gerade jetzt senkt sich mit dem traditionellen Lucia-Fest, jedes Jahr am 13. Dezember vorweihnachtlicher Frieden über das Land. Geehrt werden mit dem Lichterfest traditionell auch die Nobelpreisträger, die Stockholm gerade eine Woche lang Glanz verliehen hatten. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas im Stockholmer Stadtzentrum oder überhaupt in Schweden passieren könnte“, erklärte Staatsanwalt Thomas Lindstrand.

Am Samstagabend, nur wenige Stunden nach den beiden Explosionen, versammelten sich die diesjährigen Preisträger mit König Carl Gustaf, Königin Silvia und der schwedischen Regierungsspitze zu einem Festbankett auf dem Stockholmer Schloss. Knapp zwei Kilometer entfernt untersuchten zur selben Stunde Kripo und Sicherheitspolizei Säpo die Leiche des Attentäters und das ausgebrannte Auto, um möglichst schnell Klarheit zu schaffen. Waren die Explosionen das Werk eines einsam handelnden Terroristen oder eine gezielte Aktion des Netzwerkes Al-Kaida?

Vor islamistischen Anschlägen hatten die westlichen Geheimdienste übereinstimmend und eindringlich seit Oktober gewarnt und als wahrscheinlichen Zeitraum „bis Weihnachten“ angegeben. „Wir können erst mal nichts ausschließen“, sagte Säpo-Sprecher Anders Thornberg. Indizien sprachen aber zunächst für die Untat eines allein agierenden Selbstmordattentäters, schon weil Al-Kaida mit Anschläge fast immer nur im Nachhinein prahlt. In Stockholm aber scheint der Attentäter seinen Anschlag vorab wortreich begründet zu haben.

Was bei der Nachrichtenagentur TT und der Polizei wenige Minuten vor den Detonationen als Mail einging, stellt die schwedische Politik auf eine harte Probe. Der konservative Regierungschef Fredrik Reinfeldt bemüht sich um die Bewahrung der traditionell liberalen Zuwanderungspolitik und einen weit freundlicheren Ton gegenüber der wachsenden islamischen Minderheit als der Nachbar Dänemark.

Das dürfte nach dem Bekanntwerden des Wortlauts der Drohmails nicht leichter werden. Darin rief ein Mann - höchstwahrscheinlich der Selbstmordattentäter - zum „Heiligen Krieg“ gegen Schweden auf. In der Mail nannte er „das Schweigen des schwedischen Volkes“ zur Mohammed-Karikatur des heimischen Künstlers Lars Vilks sowie die Anwesenheit schwedischer Soldaten in Afghanistan als Grund für seine Tat: „Jetzt müssen eure Kinder, Töchter und Schwestern sterben.“

Schweden hat an diesem dritten Advent-Wochenende zum ersten Mal überhaupt eigene Erfahrungen mit Bombenterror gemacht. Völlig überraschend kommt der aber nicht. Spätestens seit Vilks Mohammed- Karikatur 2007 gab es immer wieder Anschlagsdrohungen. „Das war ein höchst beunruhigender Versuch eines Terroranschlags“, twitterte Außenminister Carl Bildt noch am Samstagabend aus dem Stockholmer Schloss, als er eigentlich nur in Ruhe und Frieden mit den Nobelpreisträgern feiern wollte. „Missglückt - aber es hätte wirklich katastrophal ausgehen können.“

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