Analyse: Ein Linker erobert die CDU-Hochburg

Erfurt (dpa) - Karl Marx wird künftig ein Plätzchen in der Thüringer Staatskanzlei haben: Die kleine rote Figur des Kapitalismuskritikers hat Bodo Ramelow bei seiner Mission begleitet - erster Ministerpräsident der Linken zu werden.

Analyse: Ein Linker erobert die CDU-Hochburg
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Und das in der langjährigen CDU-Hochburg Thüringen und genau 25 Jahre nach der friedlichen Revolution, die das SED-Regime in der DDR stürzte. Der Linke aus dem Westen und die erste rot-rot-grüne Landesregierung in Deutschland dürften es am Freitag in die Geschichtsbücher geschafft haben.

Nach dem erwarteten Wahlkrimi - erst im zweiten Anlauf stand die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme - gab sich der 58 Jahre alte Ramelow betont staatsmännisch. „Versöhnen statt spalten“ wollen er und seine Regierung, sagt der Linke in Anlehnung an den früheren Bundespräsidenten Johannes Rau (SPD).

Das Regierungsexperiment in Regie der Linken sorgt bundesweit für heftige Kontroversen und steht unter scharfer Beobachtung. Thüringens Dauerregierungspartei CDU, die 24 Jahre lang den Ministerpräsidenten stellte, scheint sich mit der Oppositionsrolle abzufinden. Die stärkste Fraktion um Ex-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht schickte nicht einmal einen Gegenkandidaten gegen die ihrer Meinung nach „rot-rot-grüne Labortruppe“ ins Rennen.

Der gebürtige Niedersachse Ramelow weiß um das Misstrauen, das viele Menschen seiner Partei an der Spitze einer Landesregierung entgegenbringen. Vielleicht auch deshalb nutzt der Linke-Politiker gleich seinen ersten Auftritt, um sich bei einem Stasi-Opfer, seinem langjährigen Freund Andreas Möller, zu entschuldigen. Der 70-Jährige aus Arnstadt nimmt an - er verfolgt die Landtagssitzung wie viele andere von der Tribüne des Plenarsaals.

„Demokratisch“ und „pragmatisch“ sind Begriffe, die Ramelow nicht nur an diesem Tag gebraucht, um sich und seinen Anspruch zu beschreiben. Und immer wieder spricht er vom Neuland, das Rot-Rot-Grün betritt, und vom Koalitionsvertrag, den die Mitglieder von drei Parteien bei Abstimmungen mehrheitlich billigten: „Da kommt das Wort Kommunismus nicht vor.“ Als Blaupause für andere Bundesländer oder gar den Bund sieht Ramelow das Thüringer Modell im Gegensatz zu einigen seiner Parteifreunde nicht.

Nicht nur Ramelow, auch die Spitzenleute von SPD und Grünen wollen, dass Rot-Rot-Grün Erfolg hat. „Wir müssen den Beweis erbringen, dass eine Koalition mit drei Partnern und einer Stimme Mehrheit funktioniert“, sagt der neue Justizminister der Grünen, Dieter Lauinger. Nach der bestandenen Feuertaufe bei der Ministerpräsidentenwahl kommt ein heikler Teil der Mission: Thüringen hat noch keinen Haushalt für 2015 - auch dafür hat das Dreierbündnis bestenfalls 46 Stimmen gegen 34 der CDU und 11 der AfD.

Irgendwann zwischen Ministervereidigung und Händeschütteln ist Ramelow anzumerken: Für ihn geht mit dem Einzug in die Staatskanzlei in der Erfurter Regierungsstraße 73 ein Traum in Erfüllung. Quasi noch mit der Ernennungsurkunde in der Hand muss seine Ministerriege - fünf Frauen und vier Männer, davon drei mit SED-Vergangenheit - die erste Kabinettssitzung absolvieren. Ramelow will endlich regieren.

In Ramelows Staatskanzlei wird es neben dem kleinen roten Marx künftig auch rote Tinte geben, wie Linke-Chefin Susanne Hennig-Wellsow verrät. Ein Geschenk der Partei zusammen mit einem Fülleretui aus dem Marx-Haus in Trier.

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