Analyse: Die ausgelieferte FDP

Berlin (dpa) - Die Attacke aus dem hohen Norden kommt früher als erwartet. Wolfgang Kubicki, das „enfant terrible“ der FDP, hat vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein im Mai die erste Stufe seiner bekannten Abgrenzungsstrategie gegenüber der Bundespartei gezündet.

Das Nein von Parteichef Philipp Rösler zur Steuer auf Finanzgeschäfte geißelt er als strategisch falsch. Nach der doppelten Demütigung durch die CDU - Rauswurf der FDP aus der Jamaika-Koalition an der Saar und Merkels Steuervorstoß - eine neue Hiobsbotschaft für Rösler.

Seine Strategen hatten gehofft, dass Kubicki noch ein paar Wochen die Füße stillhält. Zu Dreikönig am letzten Freitag kam der Kieler Fraktionschef nicht, in Präsidiumssitzungen fiel er „mit konstruktiver Zusammenarbeit in nie gekanntem Ausmaß auf“, berichten Teilnehmer. Doch Kubicki ist momentan das kleinere Problem.

Mit geballter Faust registrieren viele in der FDP, wie Merkel und die Union der im Umfragekeller festsitzenden Partei die aktuellen Machtverhältnisse in der Berliner Koalition vor Augen führen. Nach liberaler Lesart ließ die eingeweihte Kanzlerin die Blamage Röslers an Dreikönig geschehen, als die CDU im Saarland ohne Wissen der FDP das Jamaika-Bündnis platzen ließ.

Hinterher soll Merkel - nicht zum ersten Mal - den erbosten Rösler beschieden haben, das sei eine bedauerliche Kommunikationspanne gewesen. Und am Montag beim Gipfel mit Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy stellte Merkel die FDP bei der Finanztransaktionssteuer vor vollendete Tatsachen.

Wie es der Zufall wollte, war der Wirtschaftsminister gerade zu Gesprächen in London, der Hochburg der Steuerverhinderer in Europa. Zwar wies Rösler in Interviews den Merkel-Vorstoß zurück, warnte der FDP-Euro-Rebell Frank Schäffler gar vor einer Spaltung Europas und der Koalition.

Als Kriegsgrund mit der Union wird die Steuer in führenden Parteikreisen jedoch mitnichten gesehen. Die FDP kann zunächst darauf setzen, dass Großbritannien eine EU-weite Einführung sicher verhindert. Sollten es die 17 Euro-Länder per Gipfelbeschluss am Ende alleine oder in einem weiter gefassten Regulierungspaket für die Finanzbranche machen, wird die FDP das kaum verhindern. Es gebe bei dem Thema durchaus Hintertüren, heißt es.

Die Finanztransaktionssteuer trifft Rösler an einem wunden Punkt. Beim Dreikönigstreffen in Stuttgart hatte er der Partei seine neue Strategie präsentiert, die voll auf Wirtschaftswachstum setzt. Rösler will daraus ein Alleinstellungsmerkmal der FDP machen, auch gegenüber der Union. Eine klare Botschaft an die Stammwählerschaft im Mittelstand und bei den Selbstständigen, die auf sieben bis acht Prozent geschätzt wird.

Nach fünf Jahren Weltfinanzkrise dürften aber auch immer mehr Zahnärzte, Apotheker und Anwälte die Meinung vertreten, dass mit Milliarden-Steuergeld gerettete „Zocker“-Banken endlich zur Kasse gebeten werden müssen. Bis auf die FDP haben dies alle Parteien längst eingesehen.

Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin meinte, die Liberalen seien ideologisch borniert wie die konservative Tea-Party-Bewegung in den USA. Unter den Tisch fällt dabei, dass Rösler an Dreikönig sehr wohl die Macht der Finanzkonzerne attackiert hatte: „Diese Tendenz zur Verantwortungslosigkeit und Ordnungslosigkeit der Finanzmärkte gefährdet die soziale Marktwirtschaft. Das können wir nicht länger hinnehmen.“

Im Sog des aktuellen Koalitionsstreits forderte Trittin nun Merkel auf, sie solle wie im Saarland die Reißleine ziehen - also Neuwahlen möglich machen. Die Entwicklung an der Saar schätzen einige in der FDP durchaus als Drohgebärde der Kanzlerin ein, dass es an Punkt X auch in Berlin ganz schnell mit Schwarz-Gelb vorbei sein könnte.

So könnte Merkel bequem mit einer domestizierten FDP bis 2013 durchregieren. Rösler, der einst eigene Erfolge liefern wollte, wirkt nun eher ausgeliefert. Zu schaffen macht dem Vizekanzler auch das nicht enden wollende Geraune, spätestens nach einer Pleite in Schleswig-Holstein stünde Fraktionschef Rainer Brüderle für einen erneuten Umbau der Führungsriege bereit.

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