Analyse: Der Papst-Rücktritt als Traditions- und Kulturbruch

Berlin (dpa) - Ein Papst kann also auch zurücktreten. Das ist die jüngste weltpolitische Erkenntnis, die sich zu anderen Neuerungen der vergangenen Jahre gesellt, bei denen mit scheinbar unumstößlichen Traditionen gebrochen wurde.

Dass ein Schwarzer Präsident der Vereinigten Staaten werden kann zum Beispiel, eine Frau Bundeskanzlerin oder ein offen schwuler Mann deutscher Außenminister.

Benedikt XVI. gibt sein Pontifikat nach eigenen Angaben aus Altersgründen auf. Er ist damit der erste Papst seit mehr als 700 Jahren, der sein Amt freiwillig niederlegt.

Der frühere „Wetten, dass..?“-Moderator und Ex-Messdiener Thomas Gottschalk witzelte, keiner verstehe den Papst besser als er: „Mir sind am Samstagabend die Leute so langsam abhandengekommen, ihm am Sonntagvormittag. Egal was man versucht, die einen meckern, die anderen lästern“, schrieb der Entertainer in einer Kolumne in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Doch die meisten betrachten den Vorgang wesentlich ernster. Dieser Rücktritt habe das ganze Amt „entzaubert“, sagte Berlins Erzbischof Rainer Maria Woelki. Es handle sich um eine „Entmystifizierung des Papst-Amtes“. Bisher seien alle Gläubigen damit aufgewachsen, dass ein katholisches Kirchenoberhaupt bis zu seinem Tod im Amt bleibe.

Die Hamburger Medienwissenschaftlerin Joan Kristin Bleicher sieht das Ganze weniger dramatisch: „Dank der weiterhin vorhandenen Rituale bleibt aus meiner Sicht die Faszination des Papst-Amtes erhalten. Der Rücktritt bricht ja nur mit etablierten Erwartungen hinsichtlich der Amtsdauer und enttäuscht die aus der "Bild"-Schlagzeile "Wir sind Papst" hervorgegangenen vielen bundesdeutschen Päpste.“

Warum das Medieninteresse am Papst-Thema so groß ist und auch Nicht-Katholiken der Rücktritt und das anstehende Konklave faszinieren, erklärt sich die Expertin Bleicher mit der Lust der Leute an Ränkespielen: „Es gibt ein grundlegendes Interesse an menschlichen Machtspielen. Und die Papstwahl hat mit ihren Rauchzeichen neben der Spannung durchaus auch einen visuellen Reiz.“

Die Journalistin und Buchautorin Christine Eichel („Das deutsche Pfarrhaus. Hort des Geistes und der Macht“) sieht im Papst-Rücktritt eine Art Verweltlichung der Kirche: „Altern ist kein Tabu mehr, Benedikts Eingeständnis greiser Schwäche reagiert auf den Zeitgeist der Effizienz: Nicht Aura, sondern Leistungsfähigkeit ist gefragt.“ Die demokratische Idee der Partizipation bislang vernachlässigter Gruppen halte jetzt womöglich auch in der Katholischen Kirche Einzug, wenn der neue Papst zum Beispiel aus Afrika oder Lateinamerika komme.

In der säkularen Sphäre sei das längst geschehen, sagt Eichel. „Ein farbiger Präsident, eine Frau als Kanzlerin, vor hundert Jahren wäre das noch undenkbar gewesen. Ob damit auch spezifische Interessen auf die politische Agenda geraten, sei dahingestellt.“ Weder sei Barack Obama als „Multikulti-Propagandist“ aufgefallen noch Angela Merkel als „Hardcore-Feministin“.

Doch solche Personalien spiegelten den zähen Prozess hin zu Egalität und Chancengleichheit wider, ist sich Eichel sicher - unabhängig von Herkunft, ethnischer Zugehörigkeit oder Geschlecht. „Wer weiß, vielleicht wird in hundert Jahren eine Chinesin die Oberhirtin der Katholischen Kirche sein.“

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