70 Jahre nach der Befreiung: Überlebende haben das Wort

Oswiecim (dpa) - Noah Klieger hat einen Tiefpunkt der Menschheitsgeschichte erlebt - und überlebt: Auschwitz-Birkenau, das größte der nationalsozialistischen Vernichtungslager.

70 Jahre nach der Befreiung: Überlebende haben das Wort
Foto: dpa

Und den Todesmarsch, auf dem mindestens 9000 Häftlinge nur wenige Tage vor der Befreiung von Auschwitz entlang der Landstraße starben.

Heute kehrt Klieger nach Auschwitz zurück, zusammen mit etwa 300 anderen ehemaligen Häftlingen, als Leiter einer Gruppe Überlebender aus Israel. Es ist der 70. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, seit 2005 internationaler Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus.

Als Soldaten der Roten Armee am 27. Januar 1945 Auschwitz befreiten, fanden sie dort noch etwa 7000 Häftlinge, darunter auch Kinder. Die SS-Wachen hatten diese kranken und völlig entkräfteten Häftlinge zurückgelassen, als sie gut eine Woche zuvor mit etwa 56 000 Häftlingen aus Auschwitz und den umliegenden Nebenlagern Richtung Westen aufbrachen. Die Gaskammern und Krematorien waren zu diesem Zeitpunkt bereits zerstört - es sollten keine Spuren der deutschen Verbrechen hinterlassen werden.

Doch die Befreier fanden nicht nur die Überlebenden, die von der Hölle berichten konnten, durch die sie in den vergangenen Jahren gegangen waren, sie fanden die Leichen der kurz vor dem Aufbruch der SS ermordeten Häftlinge, die Asche der Ermordeten in den Ruinen, den Inhalt der Lagerhäuser mit der Habe der Opfer: rund 350 000 Männeranzüge, mehr als 800 000 Frauenkleider, Zehntausende Paare von Schuhen. Ebenso wie die Listen der Lagerbürokratie mit den Nummern der Häftlinge ließen die Kleider der Toten eine Ahnung vom Ausmaß des Massenmordes aufkommen.

Wie viele Menschen in Auschwitz-Birkenau, dem größten der deutschen Vernichtungslager, ermordet wurden, lässt sich vielleicht nie genau feststellen. Tausende waren von den Deportationszügen direkt in die Gaskammern geschickt worden, ohne je mit einer Lagernummer registriert worden zu sein.

Fest steht, dass mindestens 1,1 Millionen Menschen in Auschwitz vergast, zu Tode geprügelt, erschossen wurden, an Krankheiten und Hunger starben. Die Zahl der Opfer könnte noch deutlich höher sein. Für die Überlebenden, für die jüdische Gemeinschaft ist Auschwitz der größte jüdische Friedhof der Welt, ein Friedhof ohne Gräber, wo bis heute immer wieder Asche und Knochenreste an die Oberfläche kommen.

Für viele derjenigen, die das Grauen von Auschwitz überlebt hatten, war die Erfahrung des tausendfachen Todes um sie herum eine Verpflichtung, immer wieder an diejenigen zu erinnern, die den Tag der Befreiung nicht erlebt hatten. Und auch Auschwitz sollte, so forderten die Überlebenden, nicht etwa abgerissen werden, sondern als Mahnmal für künftige Generationen dienen.

Noah Klieger ist immer wieder zurückgekommen, sprach mit Jugendlichen und Politikern über das Erlebte. Vor einem Jahr, am 69. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz, sprach er vor Abgeordneten der israelischen Knesset in Auschwitz: „Wir alle waren wie Schatten, nicht länger lebende Wesen.“

Die Zahl der Überlebenden ist klein geworden in den 70 Jahren seit der Befreiung von Auschwitz. Auf der Gedenkfeier sollen sie im Mittelpunkt stehen, sollen ihre Stimmen gehört werden. Politische Ansprachen sind nicht vorgesehen, anders als vor zehn Jahren, als offiziell lediglich die Präsidenten Polens, Russlands und Israels das Wort hatten.

Aus fast 40 Staaten kommen dennoch Staats- oder Regierungschefs, Außenminister oder Parlamentspräsidenten nach Polen, um in Auschwitz der sechs Millionen ermordeten europäischen Juden, der ermordeten Roma und Sinti, der politischen Häftlinge und anderen Opfer der Nationalsozialisten zu gedenken.

Doch der höchste Repräsentant des Landes der Befreier von Auschwitz fehlt: Der russische Präsident Wladimir Putin habe keine Einladung erhalten und werde sich daher durch seinen Botschafter in Polen vertreten lassen, kündigte ein Kreml-Sprecher an und löste damit mediale Aufregung aus.

Polen habe Putin brüskiert, hieß es in einigen Kommentaren. „Wir sehen es als unverzichtbar an, dass der russische Präsident Wladimir Putin offiziell von der polnischen Regierung eingeladen wird“, empörte sich die Internationale Föderation der Widerstandskämpfer bei der polnischen Botschaft in Berlin und sprach von einem nicht hinnehmbaren „politischen Affront“.

Dabei hatten zuvor bereits sowohl die polnische Botschaft in Moskau als auch die Gedenkstätte darauf hingewiesen, dass die Gedenkfeier nicht von der Warschauer Regierung, sondern der Gedenkstätte organisiert werde und es jedem frei gestellt sei, zu kommen. Offizielle Einladungen habe Polen an niemanden verschickt.

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