Pechstein-Urteil könnte Sportgeschichte schreiben

München (dpa) - Claudia Pechstein hofft auf einen Festtag, der Sportgerichtsbarkeit droht ein Beben. Das erwartete Urteil des Oberlandesgerichts München könnte die internationale Sportgerichtsbarkeit in ihren Grundfesten erschüttern und ihre Monopolstellung zu Fall bringen.

Pechstein-Urteil könnte Sportgeschichte schreiben
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Selbst der Eislauf-Weltverband ISU hat keine Hoffnungen mehr auf einen Sieg vor Gericht. Nach dpa-Informationen wird der Verband im Fall der erwarteten Niederlage im Schadenersatz-Prozess gegen die Eisschnelllauf-Olympiasiegerin Revision vor dem Bundesgerichtshof (BGH) einlegen.

Bereits in der ersten OLG-Verhandlung am 6. November 2014 hatten sich die Richter klar zugunsten Pechsteins positioniert und die Alleinstellung der Verbände in Sachen Sportgerichtsbarkeit gerügt. Daher geht Pechsteins Anwalt Thomas Summerer davon aus, dass die Klage seiner Mandantin angenommen wird. „In München wird Sportrechtsgeschichte geschrieben“, sagte er am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur. „Ich reise mit großen Hoffnungen nach München“, erklärte Pechstein.

Ausgangspunkt des Prozesses ist die Schadenersatzforderung der 42-Jährigen an die ISU. Sie verlangt 4,4 Millionen Euro für eine aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Sperre wegen erhöhter Retikulozytenwerte. Pechstein hatte Doping stets bestritten. Inzwischen haben Experte eine vom Vater geerbte Blutanomalie als Grund für ihre erhöhten Blutwerte ausgemacht. Doch um die Schadenersatzforderung geht es am Donnerstag noch nicht.

Die Dimension der zu erwartenden Gerichts-Entscheidung könnte annähernd jene des sogenannten Bosman-Urteils erreichen. 1995 hatte der Europäischen Gerichtshofes (EuGH) im Fall des belgischen Fußball-Profis Jean-Marc Bosman entschieden, dass Fußballer der Europäischen Union nach Ende des Vertrages ablösefrei wechseln dürfen.

„Das Urteil wäre ein Erdrutsch, denn erstmals würde ein Gericht außerhalb der Schweiz in Sachen Sportgerichtsbarkeit entscheiden“, sagte Pechsteins Berliner Anwalt Simon Bergmann. Künftig dürften Athleten dann selbst entscheiden, ob sie sich an ein Sportgericht oder ein ordentliches Gericht wenden.

Das Pechstein-Urteil könnte nicht nur in Deutschland, sondern auch weltweit für Aufsehen sorgen und selbst den Internationalen Sportgerichtshof CAS ins Wanken bringen. „Das Verfahren bringt Bewegung in die gesamte Sportgerichtsbarkeit“, prognostiziert der Heidelberger Sportrechtler Michael Lehner. Eine Reformierung des CAS scheint zwingend nötig. Das zu erwartende Urteil wäre „ein Erfolg für die Sportler und ein gerechtes Fairplay“, meinte Lehner.

Anwalt Summerer, der vor über 13 Jahren der Sprinterin Katrin Krabbe im Kampf gegen den Leichtathletik-Weltverband IAAF zu 1,2 Millionen D-Mark Schadenersatz verhalf, ist sicher, dass seine Berliner Mandantin im sechsten Prozess in fünfeinhalb Jahren erstmals als Siegerin den Gerichtssaal verlassen wird. „Ein großer Tag für sie“, ist sich der Münchner Jurist sicher. „Noch nie war ich dem Ziel so nahe, vor einem Gericht endlich ein Gefühl von Gerechtigkeit zu spüren“, bestätigte Pechstein.

Rechtsanwalt Dirk-Reiner Martens, der die ISU in den Verhandlungen vor dem Landgericht und auch dem OLG gegen Pechstein vertrat, wird bei der Urteilsverkündung wegen einer Aufgabe am Sportgerichtshof CAS nicht selbst vor Ort sein. Für die ISU nimmt sein Kollege Christian Keidel den Urteilsspruch entgegen.

Die Frist für die Revision vor dem BGH ist auf vier Wochen festgesetzt. Danach hat die unterlegene Partei drei Monate Zeit, die Revision zu begründen, weitere drei Monate stehen der Gegenseite zur Verfügung. Mit einer Anhörung vor dem Bundesgerichtshof wäre daher nicht vor Herbst 2015 zu rechnen. Sollte der BGH das Urteil bestätigen, dürften deutsche Verbände keine Vereinbarung mit Athleten mehr schließen, die deutsches Recht aushebeln. Erst nach dem BGH-Entscheid kann dann über das mögliche Doping von Pechstein und ihre Schadenersatzforderung entschieden werden.

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